Rezension: Steppenwind

Vorbemerkung: Ein paar Tage Ruhe sind für mich immer auch ein willkommener Anlass, um sich älterem DSA-Stoff zu widmen. Ein Roman, den ich immer schon in Angriff nehmen wollte, ist Steppenwind von Niels Gaul. Das Besondere daran ist, dass hier quasi ein Parallelroman zu Das zerbrochene Rad von Ulrich Kiesow vorliegt, indem darin Ereignisse und Figuren thematisiert sind, die auch in Kiesows Roman eine Rolle spielen, dort aber eher eine Randnotiz darstellen, weil ein wesentlich kleinerer Handlungsrahmen vorhanden ist. Damit handelt es sich mittlerweile quasi um einen historischen Roman (an dem Maßstäben der Ingame-Geschichte gemessen).

In Zahlen:

– 234 Seiten

– erschienen 1997

– Preis: 4,99 Euro (in der eBook-Version)

I. Inhalt

Im Wesentlichen fokussiert sich der Roman auf ein wichtiges Ereignis im Zuge der Borbaradianischen Invasion: Den Angriff von Graf Uriel von Notmark auf den Ort Bjaldorn. Dieser ist zwar strategisch von eher untergeordneter Bedeutung, erfüllt aber zwei wichtige Merkmale. Zum einen gibt es einen alten Anspruch Uriels auf den Ort, zum anderen befindet sich in Bjaldorn der Hauptsitz der Firunkirche und dementsprechend auch der wichtigste Tempel.

Die Handlung beginnt allerdings fernab in Beilunk, wo die oberste Rondra-Geweihte Ayla von Schattengrund eine Vision erhält, in der ihre Kirche um Beistand gebeten wird, da Bjaldorn eine große Gefahr droht. Allerdings befinden sich die Geweihten der Rondra zu diesem Zeitpunkt selber in einer prekären Lage. Der Krieg gegen den Dämonenmeister und seine Schergen ist bislang von einer Serie von verlustreichen Niederlagen geprägt und gerade der Schauplatz Tobrien steht im Fokus, dort werden alle zur Verfügung stehenden Kräfte gebunden. Eine göttliche Vision kann man allerdings schlecht ignorieren und somit sucht Ayla Freiwillige, die gen Bjaldorn ziehen, um dort nach dem Rechten zu schauen. Diese findet sie in Person der Heermeisterin Hauka, genannt die Wölfin (wegen ihrer nivesischen Herkunft) und dem jungen Brin von Rhodenbrand, die sich folgend in den Norden begeben, wobei zumeist Brin als Perspektivfigur verwendet wird.

Ein anderer Handlungsstrang spielt direkt in Bjaldorn, wo anfangs noch eine gewisse Sorglosigkeit herrscht bis der junge Fjadir, der Sohn des Barons Trautmann, Zeuge wird, als üble Mächte dafür sorgen, dass die Kristallkuppel des Firuntempels zerspringt, ein sicheres Zeichen für nahenden Unheil. Schnell verbreitet sich die Kunde, dass ein Angriff Uriels und seiner Verbündeten unmittelbar bevorsteht. Brin und Hauka fällt dementsprechend die Aufgabe zu, die Bewohner Bjaldorns in einen kampffähigen Zustand zu bringen, hat doch der Baron selbst nur wenige erfahrene Kämpfer in seinen  Diensten. 

In der Folge nehmen die Kampfvorbereitungen sehr viel Raum ein, bis es im letzten Drittel zum großen Showdown kommt. Neben Brin und Fjadir werden immer wieder auch andere Figuren als Perspektivfiguren, u.a. erhält man auch Einblick in die Gedankenwelt Uriels, womit man als auch die Handlungen der Gegenseite betrachten kann. Dabei wird natürlich eine klare Verortung von Gut und Böse vorgenommen, indem dessen Grausamkeit und Skrupelosigkeit deutlich wird (die sich auch gegen die eigenen Verbündeten richtet)

Sprachlich hat sich der Autor für einen eher komplexen Stil entschieden, indem die Wortwahl oft bewusst altertümlich abgefasst ist (auch in den Erzählertexten, nicht nur in der Figurenrede). Hinzu kommt ein oft sehr verschachtelter Satzbau.

II. Figuren

Anders als Das zerbrochene Rad greift der Roman nicht auf das gefühlt komplette Who is who der damaligen Zeit zurück, trotzdem sind mit Ayla und Uriel zwei der wichtigsten Protagonisten des Konflikts vertreten. Besonders Uriel wird nachdrücklich als brutaler Machtmensch gezeichnet, dem selbst seine eigenen Verbündeten zuwider sind.

Dem gegenüber stehen die mutigen Verteidiger Bjaldorns: Brin und Fjadir werden als mutige junge Krieger eingeführt, die zwar durchaus Konflikte untereinander haben, aber bereit sind, sich der feindlichen Übermacht zu stellen. Hauka, die nominell über Brin steht, hat die Aura einer geheimnisvollen Außenseiter, die selbst in ihrer eigenen Kirche wenig Rückhalt hat, aber als Kämpferin eine absolute Kapazität ist. Baron Trautmann hingegen haftet etwas sehr Melancholisches an, bis er vor die ultimative Herausforderung seiner Herrschaftszeit gestellt wird

III. Kritik

Genau auf diese Figurenzeichnung verwendet der Roman sehr viel Raum, indem immer wieder andere Figuren in den Mittelpunkt gestellt werden, auch wenn Brin und Fjadir etwas herausragen. Die Einzelschicksale werden immer wieder rausgegriffen und vor allem bei den Verteidigern werden besonders die tragischen Momente sehr dicht und intensiv beschrieben, z.B. das Schwanken zwischen Hoffnung und Fatalismus. Generell legt der Autor sehr viel Wert auf detaillierte Beschreibungen, was nicht nur für die Figuren gilt, sondern auch für Orte oder allgemeine Szenenbeschreibungen. Beispielsweise wird die Belagerung Bjaldorns in vielen Einzelheiten geschildert, u.a. welche Maßnahmen zur Verteidigung gewählt wurden. Das gilt aber nicht nur für solche Szenen, sondern auch für die Alltagsdarstellungen, wenn z.B. eingangs ausgeführt wird, wie die Würdenträger der Rondrakirche zusammenkommen oder wenn die Nachtwächterin Bjaldorns plötzlich einen vermeintlichen Eindringling wahrnimmt, der über die Mauer steigt. Somit kann man sich vieles sehr plastisch vorstellen.

Sehr viel Aufwand wird auch für die Skizzierung des Gesamthintergrunds verwendet, z.B. wenn genau erläutert wird, warum die Rondrakirche aktuell nicht in der Lage ist, einen zahlenmäßig große Gruppe nach Bjaldorn zu entsenden. Die Vernetzung mit dem damaligen Metaplot ist sehr hoch, allerdings benötigt man stellenweise auch einiges Hintergrundwissen, da zwar viele Umstände erwähnt werden, aber oft eher schlagwortartig, für das eine oder andere Detail musste ich das wiki aventurica konsultieren. Gelungen ist dabei für mich die Verzahnung mit Das zerbrochene Rad, die Lücke, die dort Bjaldorn betreffend gelassen wurde, wird hier ausführlich gefüllt.

Die vielen Details haben allerdings einen deutlich erkennbaren Preis: Wer einen schnellen Spannungsaufbau und viel Dynamik erwartet, der wird an Steppenwind wenig Vergnügen empfinden. Die vielen Hintergrundbeschreibungen sorgen dafür, dass die Handlung eher langsam verläuft. So dauert es vergleichsweise lang, bis beschlossen wird, Hauka und Brin nach Bjaldorn zu schicken und dementsprechend noch länger, bis die beiden dort angekommen sind. Hinzu kommen noch Schilderungen, die die Verhältnisse in Bjaldorn skizzieren (z.B. das Vertrauen, das die Bewohner des Ortes in ihren Baron haben) sowie ab dem mittleren Bereich des Gesamttextes auch die Kampfvorbereitungen Uriels. Im Resultat finden die eigentlichen Kampfhandlungen erst im letzten Viertel des Romans statt. Zu diesem behutsamen Spannungsaufbau kommt dann auch noch die bewusst altmodisch gehaltene Sprache mitsamt vielen Schachtelsätzen, was diese Längen noch betont. Ich persönlich mag diesen Stil ja, allerdings wird das sicher nicht jeden Geschmack treffen. Gerade des sehr pathetisch gehaltene Ende, das gleichermaßen Tragik als auch hoffnungsvolle Perspektiven beinhaltet, ist für mich allerdings ein absolutes Highlight. Auch wenn Bjaldorn nur ein kleiner Ort sein mag und im Gesamtgeschehen der borbaradianischen Invasion nur ein Randereignis, steckt hier für mich eine Miniatur der damaligen Ereignisse, die auch viel Epik in sich trägt. Meine persönlichen Lieblingsstellen sind zuletzt die Erzählpassagen aus der Sicht Uriels, der einfach ein herrlich mürrischer und abgrundtief finsterer Schurke ist.

IV. Fazit

Steppenwind ist ein sehr interessanter Roman, der ein Kettenglied im Rahmen der Borbarad-Krise genauer geleuchtet und viel Epik und Tragik beinhaltet. Der Gesamttext ist stilistisch eher altmodisch gehalten und verfügt über eine ruhige Erzählweise. Allerdings geht dies auf Kosten eines stetigen Spannungsaufbaus.               

1 Kommentar

  1. Einer der frühen DSA-Romane, die ich gelesen habe. Er zählt wie alle DSA-Romane nicht zur Pflichtlektüre des Pen&Paper-Fans.
    Unvergessen bleibt Niels‘ Nachruf im Aventurischen Boten 67 (Jan/Feb 1997) auf seinen Mentor und Freund Ulrich Kiesow.
    Der Roman erschien wenige Wochen später im März. Es verwundert nicht, dass es sein letzter DSA-Roman bleiben sollte, denn mit diesem Einschnitt endete auch seine Mitarbeit.

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