Rezension: Das Heldenbrevier der Winterwacht

Vorbemerkung: Fast hätte es die folgende Rezension nicht gegeben, denn eigentlich hatte sich Ulisses vor einiger Zeit dazu entschlossen, die Heldenbreviere mangels lohnender Verkaufszahlen einzustellen. Was auf diese Ankündigung folgte, waren aber offensichtlich so viele Sympathiebekundungen für das Ingame-Format, dass ein Umdenken stattgefunden hat. Somit wurde auch für das Bornland-Crowdfunding ein solcher Band erstellt und mit Das Heldenbrevier der Winterwacht liegt nun ein neuer Band aus der bewährten Feder von Carolina Möbis vor. Ich selbst begrüße diese Entwicklung natürlich ausdrücklich, halte ich doch nach anfänglicher Skepsis die Heldenbreviere für ein ausgezeichnetes Format.

In Zahlen:

– 160 Seiten

– Preis: 19,95 EURO

– erschienen am 2.12. 2023

I. Aufbau und Inhalt

Diesmal ist das Heldenbrevier kein reiner Briefroman, indem Handlungsfortschritt nicht nur in Form von sich ergänzenden Briefwechseln erzeugt wird. Vielmehr ist es als eine Art von Dossier aufgebaut, das die Hexe Madara von Brandthusen erstellt hat und in dem sie ihre Erkenntnisse zum sogenannten Erwachen des Bornlands zusammengefasst hat. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Briefen (zwischen Madara und den mächtigen Hexen Zelda von Ilmenstein und Bisminka), Gesprächsnotizen, Artikeln aus der Festumer Flagge und Tagebuchauszügen der Perainegeweihten Vanjescha Holerow.

Nimmt man all diese Quellen zusammen, ergibt sich ein klarer Handlungsverlauf, der während des Langen Winters im Bornland ansetzt. So schildert eine einführende Passage den harten Überlebenskampf der Bewohner von Burg Graustein in Notmark, zu einem Zeitpunkt, als dort der bereits fast sieben Monate andauernde Winter dafür gesorgt hat, dass kaum noch Proviant vorhanden ist. Selbst der sonst so stolze und unbeugsame Graf Alderich wird in einem Zustand von Fatalismus beschrieben, zudem ist die Burgbesetzung von ständigen dämonischen Angriffen zermürbt, deren Ursprung sich ihnen nicht erschließt.

Madara versucht diesen merkwürdigen Phänomenen auf den Grund zu gehen und nimmt dazu Kontakt zu unterschiedlichen Personen auf, doch selbst kompetente Gelehrte wie Thezmar Alatzer können hauptsächlich mit Mutmaßungen dienen, haben aber keine finalen Antworten. Allerdings ergibt sich schnell eine Gruppe von Personen, die einen klareren Blick auf die Ereignisse hat. Federführend ist dabei niemand Geringeres als Mantka Riiba, das Oberhaupt der Goblins. Sie glaubt, eine wirksame Gegenmaßnahme einleiten zu können, benötigt dazu jedoch die Unterstützung weiterer Magiewirker*innen. Madara fällt dabei die Aufgabe zu, zwischen den verfeindeten Hexen Zelda und Bisminka zu vermitteln, ebenso muss ein Kontakt zur wichtigsten Vertreterin der norbardischen Zibilja, Fetanka Jantareff, hergestellt werden, zudem soll auch die Perainegeweihte Vanjescha Holerow zu der Gruppe gehören.  

Dies alles ist ein zeitaufwändiger Prozess, um alle Beteiligten zusammenzuführen, zusätzlich zeigen die immer wieder vorkommenden Reiseschilderungen, dass das Bornland in diesem nicht enden wollenden Winter ein noch ungemütlicherer und gefährlicherer Ort ist als in normalen Zeiten. Ebenso ergibt sich bald ein Ziel, nämlich die Durchführung eines mächtigen Rituals.

II. Figuren

Die obige Zusammenfassung zeigt, dass hier vor allem die Magiewirker des Bornlands den Ton angeben. Bemerkenswert ist, dass dabei Gildenmagier wie Thezmar oder Alwin Wippenflügler im Dunkeln tappen, während die eher naturverbundenen Hexen Zelda und Bisminka und die Norbardin Fetanka schon an der Lösung arbeiten. Die treibende Kraft hinter dem ganzen Unterfangen ist aber Mantka Riiba, die zwar oft sehr mythisch, aber auch nahbar und gütig dargestellt wird.

Madara und Vanjescha als Chronistinnen der Ereignisse wirken dementsprechend als eine Art von Erzählfiguren, da sie eine „normalere“ Perspektive einnehmen und mehr Fragen stellen, als dass sie Antworten haben. Zudem sollen sie offenkundig auch eine nachwachsende neue Figurenriege für das Bornland repräsentieren.   

Bemerkenswert ist auch der Auftritt von Alderich von Notmark, der hier ganz anders charakterisiert wird, als er bisher dargestellt wurde. So zeigt er durchaus emphatische Momente, in denen er Mitleid mit Notleidenden hat und selbst Goblins gegenüber eine erkennbare Form von Dankbarkeit entgegenbringt.

III. Kritik

Zunächst möchte ich Ulisses ganz eindeutig beglückwünschen: Die Entscheidung, die Heldenbreviere weiterzuführen, ist eine völlig richtige. Das beweist der vorliegende Band nachhaltig für mich. Denn er leistet genau die beiden Kernanforderungen an diese Textkategorie hervorragend. Zum einen führt er in das Setting und den aktuellen Metaplot vertiefend ein, zum anderen ist die Handlung gleichermaßen spannend wie unterhaltsam.

Zunächst muss einmal mehr die enge Verbindung zwischen den einzelnen Bänden der Produktflöte betont werden. Das Heldenbrevier der Winterwacht ist dabei vor allem mit dem Abenteuer Der strenge Winter eng verknüpft und beide zusammen stellen die Voraussetzungen für den Status quo her, der in Die Winterwacht dann die Textgrundlage für die allgemeine Regionalbeschreibung ist. Besonders in der einführenden Passage wird dies deutlich, da diejenigen Ereignisse in Notmark geschildert werden, die zu dem Zeitpunkt bestimmend sind, als die Heldengruppe des Abenteuers dort eintrifft. Zudem ist eine Passage des Abenteuers umgekehrt Teil des Briefwechsels zwischen Madara und Zelda. Gerade dieses Aktualität weiß ich an den Heldenbrevieren mittlerweile sehr zu schätzen, nachdem in den längeren Romanen von Ulisses derzeit ja eher die Tendenz erkennbar ist, weit in die Vergangenheit zurückzugehen.

Gerade die Kernthemen des Settings werden hervorgehoben, insbesondere der Ingame-Wissensstand zum Erwachen des Bornlands wird sehr anschaulich vermittelt. Vor allem werden dabei die starken Frauenfiguren betont, die zudem eigentlich alle aus traditionellen Außenseitergruppen stammen (Hexen, Goblins, Norbarden), während die angesehenen Gelehrten sich zwar hübsch verklausuliert ausdrücken, aber mit vielen Worten nur aussagen, dass sie nicht viel mehr als ein paar Mutmaßungen parat haben. Das passt ja generell dazu, dass Natur und Naturverbundenheit in der RSH gestärkt werden und etablierte Strukturen eher geschwächt werden. Mit Madara und Vanjescha erhalten zudem neue NSC direkt sehr viel Profil, gerade eine solche Weiterentwicklung der regionalen Figurenriege halte ich für immens wichtig.

Aber auch die Handlung insgesamt empfinde ich als überzeugend. Dramaturgisch gibt es zwei Höhepunkte. Einen sehr frühen (und auch mein persönliches Highlight) stellt die Schilderung des harten Überlebenskampfes der Notmärker dar, gerade auch die Darstellung des beinahe gebrochenen Alderich. Genauso ist das abschließende Ritual – wenn auch auf einer dramaturgisch völlig anderen Ebene – ein passender Schlusspunkt für den Roman, der gleichermaßen Optimismus wie Skepsis vermittelt. Dazwischen herrscht natürlich oftmals der eher ruhige Erzählstil vor, der den Brevieren immer eigen ist. Die Dossierform erscheint mir dabei eine durchaus gelungene Idee, allerdings mit dem Preis, dass der Stil damit etwas uneinheitlicher ist als bei einigen der früheren reinen Briefromane.

Schade finde ich allerdings, dass diesmal – wie angekündigt – die schönen Illustrationen eingespart wurden, die sonst von Katharina Niko zu den Heldenbrevieren beigesteuert werden. Die finanziellen Beweggründe dafür kann ich natürlich nachvollziehen und akzeptieren, trotzdem fehlt so etwas von dem Flair, den die Heldenbreviere sonst haben, wenn einige Aspekte der Region auch bildlich dargestellt werden.

IV. Fazit      

Das Heldenbrevier der Winterwacht ist ein sehr gelungener Roman, der vor allem das Erwachen des Bornlands und eine Vielzahl maßgeblicher Figuren sehr intensiv und anschaulich darstellt. Das ist in einer spannenden Geschichte umgesetzt, die die Region viel greifbarer werden lässt und dazu auch klug mit den anderen dazugehörigen Bänden verknüpft ist.        

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