Rezension: Der Rote Chor

Vorbemerkung: Es war nicht gerade ein kleines Vorhaben, die erste große Kampagne seit dem Editionswechsel auf 6 Bände anzulegen, vor allem wenn dazu noch das erklärte Ziel ausgegeben wird, dies alles binnen eines Jahres zu veröffentlichen. Insgesamt wurde das zeitlich tatsächlich erreicht, erschien „Der Weiße See“ doch Ende Februar 2016. Somit ist liegt jetzt mit „Der Rote Chor“ der Abschlussband vor, der die Geschehnisse rund um das Erbe der Theaterritter und das Erwachen des Bornlandes finalisieren soll. Eine wichtige Frage zur Einordnung einer solchen Publikation ist dabei natürlich vordergründig, ob es Daniel Heßler und Niklas Forreiter gelungen ist, die vielen ausgelegten Handlungsfäden zusammenzuführen.

In Zahlen:

– 64 Seiten

– Preis: 14, 95 Euro

– Erschienen am 1.3. 2017

I. Aufbau und Inhalt

In einem Punkt unterscheidet sich „Der Rote Chor“ sichtlich von seinen fünf Vorgängern: Während ein Kennzeichen bislang der Reisefaktor war – die Helden also ständig unterwegs waren – handelt es sich nun um ein waschechtes Stadtabenteuer, da fast die gesamte Handlung (abgesehen vom Finale) in Festum spielt. Somit widmet sich das erste Drittel der Seiten auch der Beschreibung des „Spielfeldes“. Einerseits werden die wichtigsten Örtlichkeiten Festums beschrieben (inklusive der Anlaufstationen dieses Abenteuers), andererseits die Figuren, mit denen die Schauplätze mit Leben ausgestattet werden sollen. Dabei ist eine Strukturierung in einzelne Groß- bzw. Interessensgruppen vorgesehen, z.B. die Riege der Bronjaren oder der Magiebegabten. Eine grundsätzliche Voraussetzung des Abenteuers ist zudem die Ausrichtung aller Beschreibungen auf ein besonderes Ereignis hin, spielt das Abenteuer doch vor dem Hintergrund der alle 5 Jahre stattfindenden Wahl des neuen Adelsmarschalls. In direkten Zusammenhang dazu steht beispielsweise der namensgebende Chor, bei dem es sich um ein 80köpfiges Goblinensemble handelt, das zu Ehren der Stadtoberen auftreten soll.

Folgend werden drei konkrete Handlungstränge ausgeführt, wobei zwei parallele Handlungsebenen modulartig aufgebaut sind, während der letzte Teil das Finale initiiert. Den „Alltag“ der Helden dürfte eine Mordserie bestimmen, bei der mehrere Bürger Festum aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten auf bestialische Weise ermordet werden. Jeder Mord wird unter Einbeziehung der Tatumstände, des Tatortes und des Hintergrunde des Opfers beleuchtet. Anschließend werden die Recherchemöglichkeiten ausgeführt, welche Informationen die Helden ermitteln können und wen sie dazu befragen müssen. Dazu wird natürlich immer auch Bezug auf den Täter genommen, dessen Handlungen ihn zuletzt in direkte Konfrontation mit den Spielercharakteren führen werden.

Ein weiteres Handlungselement wird von einer alten Bekannten der Helden dominiert: Mit Leudara kehren auch einige Anhänger Kors in Festum ein, um dort mehr Rechte für ihre Religionsgemeinschaft einzufordern, in bewusster Konfrontation mit der Rondrakirche. In mehreren Modulen wird dabei Leudaras Drängen nach Privilegien ausgeführt, wobei es immer wieder zu Konfrontationen mit der amtierenden Adelsmarschallin Nadjescha von Leufurten als Vertreterin der Obrigkeit und Gernot von Halsingen, dem Sennemeister der Rondrakirche, kommt. Hier ist offengelassen, wie sich die Helden positionieren, bei den einzelnen Modulen werden immer mehrere mögliche Ziele formuliert, abhängig davon, ob die Spielercharaktere Leudara freundlich, feindlich oder neutral gegenüberstehen.

Das Finale letztlich setzt sich wieder mit dem Erwachen des Bornlandes auseinander und stellt vor allem die Vergangenheit der Theaterritter und der Goblins in den Vordergrund. Einmal mehr verschlägt es die Helden dazu in eine Globule, wobei sie vor allem ihre strategischen Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen.

II. Figuren

Die Kampagne läuft nun über mittlerweile 6 Bände, entsprechend hat sich eine immer größere Figurenriege herausgebildet. Auf diese wird reichlich zurückgegriffen, um die einzelnen Handlungsstränge mit Leben zu erfüllen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf zwei ambivalente Figuren gelegt: Olko und Leudara begleiten die Helden seit „Der Weiße See“ und haben in den unterschiedlichen Phasen der Kampagne z.T. gleich mehrfach ihre Rolle gewechselt, waren Gegner und Verbündete. Dieses Konzept wird nun weitergeführt und sorgt somit für reizvolle Gewissenskonflikte, wenn nicht immer ganz eindeutig ist, wie die Helden sich situativ zu den beiden NSCs positionieren. Grundsätzlich steht aber die gesamte Oberschicht Festums zur Verfügung, begonnen bei Adelsmarschallin Nadjescha und ihren Konkurrenten bei der aktuellen Wahl. Alle Figuren erhalten mehr oder weniger kurze Beschreibungen mit ihrer Agenda, mittels derer sich einordnen lässt, wie sie sich den Helden gegenüber verhalten sollen. So oder so treffen sie eine Fülle an alten Bekannten, wie z.B. Hauptmann Timpski, Alderich von Notmark oder Alwin Wippflüger. Eine ausgesprochen wichtige Rolle nimmt zudem die Sprecherin der Festumer Goblins, Mantka Riiba, ein, die einmal mehr zeigen darf, welches Potential wirklich in einer Goblinfrau steckt, abseits von gängigen Klischees.

III. Kritik

Genau in dieser Figurenriege liegt auch die große Stärke des Abenteuers. Selten haben dem Spielleiter so viele Figuren zur Verfügung gestanden, die teils über mehrere Bände immer vertrauter geworden sind. Somit sind in allen Phasen des Abenteuers, vor allem wenn es um die Mordermittlungen oder die politischen und religiösen Verwicklungen geht, gleich eine ganze Reihe von geeigneten Ansprechpartnern vorhanden. Das ist gerade in den Modulen des Handlungsstranges um die Kor- und Rondrakirche notwendig, in denen der reine Handlungsablauf in wenigen Worten umschrieben wird und die konkrete Gestaltung dem Spielleiter obliegt. Der Wandel Olkos und Leudaras ist insgesamt glaubhaft und begründet erläutert, so dass die Helden hier stellenweise wirklich vor moralische Dilemmasituationen gestellt werden, deren Lösung nicht immer einfach ist. Aus dieser Warte heraus ist es positiv, dass immer wieder Handlungsoptionen angeboten werden.

Allerdings muss hier einschränkend auch angesprochen werden, dass meiner Meinung nach die realen Einflussmöglichkeiten stark eingeschränkt sind, da beide Handlungsstränge in ihrem Ablauf weitgehend vorgegeben sind, das Schicksal beider NSCs ist gesetzt, unterschiedliche Resultate lassen sich nur vereinzelt erzielen. Z. B. ist im Prinzip keiner der Morde wirklich zu verhindern, da erst beim letzten Mord das vom Täter gewünschte Resultat erreicht wird, um das Finale dieser Episode zu initiieren. Ähnliches gilt für Leudaras Aufstieg, der unaufhaltsam auf das Duell mit Gernot hinsteuert, wobei den Helden allerdings freigestellt ist, ob sie Leudara unterstützen oder nicht. Entscheiden sie sich für ihre alte Freundin, lassen sich viele Erfolgserlebnisse erringen, als Gegner häufen sich dafür wahrscheinlich eher Frusterlebnisse an. Positiv ist dafür anzumerken, dass durch die Vermischung beider Handlungsstränge ein sehr abwechslungsreiches Geschehen konstruiert wird, das den Spielerhelden viele Möglichkeiten bietet, sich direkt einzubringen.

Das Finale selbst betrachte ich ebenfalls als ein zweischneidiges Schwert, das wiederum Stärken und Schwächen der Gesamtkampagne abbildet. Einerseits wird ein sehr atmosphärisches Finale gezeigt, das es ermöglicht, dass die Helden in eine Anführerrolle rücken bzw. die NSCs ihnen diese bereitwillig überlassen, wobei hier die Einflussmöglichkeiten auf das Endresultat besonders groß sind. Umgekehrt allerdings sind eben auch gewisse Ermüdungserscheinungen sichtbar, indem erneut bereits mehrfach genutzte Elemente überstrapaziert werden. Wieder einmal geht es darum, den Einsatz einer Goblinpauke zu verhindern, wieder einmal ist ein Ausflug in eine Globule vorgesehen. Beide Handlungsvarianten sind durch die Mordserie bzw. den abschließenden Kampf mit uralten Mächten um die Zauberwurzel durchaus gut in Szene gesetzt, trotzdem sind es mittlerweile ausgetretene Handlungspfade, die für keinerlei Aha-Effekte mehr sorgen können, zumindest nicht im Rahmen dieser Kampagne.

Für den Bereich der lebendigen Geschichte fallen zuletzt noch zwei Aspekte auf, die für mich originelle Konzepte darstellen. Eine Leistung der Kampagne ist eine deutliche Überarbeitung des Goblinbildes, weg von den stumpfen und wenig fordernden Zufallsbegegnungen hin zu einem Volk mit einer respektablen Geschichte, was auch in „Der Rote Chor“ weitergeführt wird. Besonders originell ist dabei die Rolle des Roten Chores, der alles andere als der alberne Einfall ist, nach dem es anfänglich klingt. Als gelungene Idee sehe ich zudem an, dass das Abenteuer eine Grundlage für die Wahl des Adelsmarschalls darstellen soll, was ja im Ergebnis noch nicht aufgelöst wird, sondern demnächst per Abstimmung durchgeführt werden soll. Das Abenteuer liefert dazu eine gute Entscheidungsgrundlage, da die Helden durch die Geschehnisse mit allen Kandidaten in direkten Kontakt treten werden und somit ein echtes Bild über deren Programmatik erhalten haben dürften. Ein solches Resultat ließe sich beispielsweise über ein paar Botenartikel wohl kaum erreichen.

IV. Fazit

„Der Rote Chor“ stellt in vielen Bereichen einen gelungenen Kampagnenabschluss dar, wobei vor allem die gewachsene Schar von NSCs für eine dichte und atmosphärische Handlung sorgt. Allerdings sind auch gleich mehrere Handlungselemente vorhanden, die im Rahmen der Kampagne schlichtweg zu oft genutzt worden sind, womit auch Ermüdungserscheinungen vorhanden sind. Stellenweise sind für meinen Geschmack die Einflussmöglichkeiten der Helden zu stark eingeschränkt, indem viele Resultate von Beginn an gesetzt sind.

Bewertung: 4 von 6 Punkten

1 Kommentar

Hinterlasse einen Kommentar