Rezension: Silberflamme

Vorbemerkung: Mehr als ein halbes Jahr ist es nun her, seit wir zuletzt an den Erlebnissen der rivalisierenden Ottajaskos von Beorn und Phileasson teilhaben durften. Das lange Ausharren auf die nächste Fortsetzung hat nun ein Ende, mit „Silberflamme“ setzen Bernhard Hennen und Robert Corvus die legendären Recken wieder in Szene, wobei die Reisegruppen langsam den Norden hinter sich lassen und allmählich nach Mittelaventurien vordringen. Auffällig ist dabei, dass der neue Band die auch schon seitenstarken Vorgänger noch einmal übertrifft, „Silberflamme“ kommt auf fast 700 Seiten. Eine Menge Raum, um dem auf viele Köpfe angewachsene Figurenensemble gerecht werden zu können.

I. Inhalt
Wie die Vorgängerbände auch, steht zu Beginn ein längerer Prolog, der sich mit Ereignissen auseinandersetzt, die bereits lange vor der Wettfahrt stattgefunden haben. Im Fall von „Silberflamme“ handelt es sich dabei sogar um einen Zeitsprung von 235 Jahren. Im Mittelpunkt des Prologs steht dabei die titelgebende Silberflamme, das Schwert der Göttin Orima, das der Wüstenelfen-Sippe der Shiannafeya von dem menschlichen Krieger Erm Sen entwendet wurde. Seit vielen Jahren entsenden die Elfen ihre besten Kämpfer, um die heilige Waffe zurückzugewinnen, doch einer nach dem anderen stirbt im Zweikampf gegen den herausragenden Schwertmeister und zerfällt anschließend zu Staub. Der Prolog folgt den beiden jüngsten Auserwählten, den Geschwistern Lailath und Nantiangel, die zunächst scheitern, dann aber beschließen, Erm Sen – entgegen den Gewohnheiten ihrer Sippe – auch über die Wüstenregionen hinaus in den hohen Norden zu folgen, um ihm letztendlich zum Kampf auf Leben und Tod gegenüberzustehen.
Hier setzt dann auch die Verbindung zur folgenden Haupthandlung an, sind die beiden Thorwalerkapitäne in der vierten Aufgabe doch dazu aufgefordert, besagte Silberflamme zu finden. Von Festum aus begibt sich Phileasson auf den Weg, wohl wissend, dass er im Moment hinter der kleineren Gruppe von Beorn hinterherhängt. Erschwerend kommt hinzu, dass er schnell feststellen muss, dass Beorn den Kopfgeldjäger Sven Gabelbart und seine Gefolgsleute auf Phileassons Spur gesetzt hat. Diese wollen sich das Kopfgeld verdienen, das die Stadt Norburg auf Phileasson und einige seiner Leute ausgesetzt hat, nachdem sie dort für einige Unruhe gesorgt haben. Sven erweist sich dabei als kompetenter, zugleich auch höchst ehrenhafter Gegner, der sich trotz einer Sympathie für die Verfolgten nicht von seinem Auftrag ablenken lassen will. Besonders schwer fällt ihm dies bei Nirka, für die er offensichtlich Gefühle hegt.
Auf dem Weg von Festum nach Ysilia kommt es somit zu gleich mehreren Konfrontationen zwischen den Kopfgeldjägern und Phileassons Ottajasko, wobei sich die Kontrahenten bemühen, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Zusätzlich wird die Reise allerdings noch erschwert durch allerlei andere Hindernisse in der Wildnis Tobriens, wo als Einkehr leerstehende Hütten für Reisende dienen, die sogenannten Warunker Hütten. Dort lauern nicht nur die antagonistischen Gruppen einander auf, sondern auch andere Gefahren wie Goblins und Oger bedrohen Leib und Leben.
Beorn hingegen hat trotz seines Vorsprungs alles andere als eine Ruhephase, muss er doch immer wieder mit der ihn weiterhin begleitenden Pardona um die Führungsposition ringen. Nach wie vor bleibt dabei weitgehend im Dunkeln, weshalb die mächtige Hochelfe sich auf ein derart profanes Abenteuer begibt und mit der rauen Thorwalergruppe durch halb Aventurien zieht. Erschwerend hinzu kommt die Intergration von zwei neuen Gruppenmitgliedern: Der rauflustigen Eilif Sigridsdottir fällt es schwer sich unterzuordnen, was immer wieder für Konflikte sorgt. Einen noch schwereren Stand innerhalb der Mannschaft hat aber der Überläufer Tjorne, der sich nach seinem Bruch mit Phileasson nun Beorn angeschlossen hat.
Beide Ottajaskos müssen im Verlauf des Romans einiges an Recherchearbeit leisten, wobei die Ansprechpartner bisweilen weit abseits der üblichen Gelehrten liegen, im Extrem sind es sogar Geister, die ihnen helfen müssen, die über 200 Jahre alte Spur Erm Sens zu verfolgen. Letztlich führt dieser Wettlauf beide Gruppen in das Tal der Türme, wo gleich eine ganze Reihe schwer abwägbarer Gefahren auf sie wartet, von sich merkwürdig verhaltenden Dörflern über Wölfe bis hin zu leibhaftigen Drachen. Wie in der Vorgängerbänden sorgen die Ereignisse auch dieses Mal für eine gewisse Fluktuation in den Mannschaften, mit einer Bandbreite von herzlichen Abschieden von Kameraden, für die sich andere Ziele ergeben haben, bis hin zu tragischen Verlusten.

II. Figuren
Beide Ottajaskos haben zusammen eine Stärke von fast 30 Figuren erreicht, was es nicht immer leicht gestaltet, den vollkommenen Überblick zu behalten. Natürlich liegt ein Fokus weiterhin auf den beiden Anführern. Beorn muss sich diese Rolle allerdings mit Pardona teilen, wobei ihre Gedanken sich durch die göttliche Distanz (und Arroganz) stark von denen der anderen Figuren unterscheiden. Bei Phileassons Mannschaft wird ein erkennbarer Fokus auf Zidaine und Nirka gelegt, wobei sich die Perspektiven stark abweichend gestalten, von der beginnenden Liebesgeschichte Nirkas zu Sven im Kontrast zu Zidaines dunklen Geheimnissen, die hier tiefergehend offenbart werden.

III. Kritik
Tatsächlich liegt hier auch ein wichtiger Schwerpunkt des 4. Bandes. Die eigentlich Handlung gestaltet sich teilweise eher gemächlich, sind beide Gruppen doch zumeist unterwegs, die Dramatik steigt nur gelegentlich, z.B. wenn Phileassons Gruppe gegen eine Bande von Goblins und Ogern kämpfen muss bzw. anfangs die Kopfgeldjäger arge Probleme bereiten oder wenn Beorn und seine Gefährten unverhofft in die hinterhältige Falle einer verschworenen Dorfgemeinschaft geraten. Das liest sich jeweils ausgesprochen spannend, kann aber natürlich nicht mit der Epik des vorausgegangenen Vordringens in den Himmelsturm mithalten. Ein Grund ist die hohe Veteranendichte (Phileasson, Beorn, Ohm, Olav etc.) unter den Reisegruppen bzw. die gebündelte Anzahl von hochkompetenten Spezialisten (die Fährtensucherin Irulla, die Magiebegabten wie Salarin, Tylstir und Galayne, die starken Kämpfer Zidaine, Sven, Ursa oder Eilif). Überwiegend hat man immer das Gefühl, dass die Kombination von Fähigkeiten die meisten Hindernisse vergleichsweise gut bewältigen wird. Als störend habe ich dies nur an einer Stelle empfunden, wenn der Auftritt des Drachen Apep für meinen Geschmack zu sehr marginalisiert wird und im Prinzip auch kaum Konsequenzen hat. Die Machtfülle eines solchen Wesens stellt in der Logik der Hintergrundwelt einen immensen Faktor dar, der hier aber nicht deutlich wird, auch wenn Pardonas Anwesenheit tatsächlich eine plausible Erklärung dafür darstellt, dass der Drache eine offene Konfrontation meidet.
Vielmehr liegt der Fokus auf einer deutlichen Konturierung des Beziehungsgeflechts innerhalb beider Mannschaften. Die sehr unterschiedlichen Charaktere sorgen dafür, dass sich solche Abschnitte überwiegend gut und abwechslungsreich lesen. Die fast 700 Seiten gewähren dabei aus ausreichend Platz, dass sehr viele Figuren eine weitere Entwicklung erfahren, was vor allem für Nirka, Zidaine, Praioslob und Firutin gilt, später aber auch für Salarin. Ebenso stellen Lailath, Sven und die derbe Eilif interessante neue Figuren dar. Umgekehrt gibt es auch altbewährte Figuren, die dieses Mal deutlich weniger Erzählraum erhalten, vor allem Ohm und Galayne, der von Pardona als wichtigster Berater Beorns abgelöst wurde. Deutlich wird aber auch der erkennbare Unterschied zwischen den Mannschaften, nach wie vor sucht Phileasson ausgleichende Lösungen, während Beorns Strategien deutlich brutaler sind, was trotzdem nicht dafür sorgt, dass man hier eine klare Trennung zwischen gut und Böse vornehmen könnte.
Atmosphärisch weiß vor allem der Prolog zu gefallen, der der Jagd nach der Silberflamme eine entsprechend mystische Komponente zuweist, sind doch vor den wettstreitenden Thorwalern unzählige Elfenkrieger an eben jener Aufgabe über Generationen gescheitert. Mit dem heiligen Schwert der Orima wird gleichzeitig die Verbindung der Queste mit der untergegangenen Kultur der Hochelfen weitergesponnen, die sich mittlerweile als klar erkennbarer Roter Faden durch die Handlung zieht, was nun auch von einzelnen Teilnehmern erkannt wird. Ebenfalls positiv wirkt sich zudem das langsame Vordringen in das Mittelreich aus, nach drei Bänden im Norden Aventuriens ist dieser „Tapetenwechsel“ eine angenehme Variation, z.B. wenn häufig ein gewisses Misstrauen gegenüber solchen Ansammlungen von rauen Nordleuten spürbar ist, was Beorn und seine Gefolgsleute fast mit dem Leben bezahlen. In gleicher Weise funktioniert die zwischenzeitliche Integration einer dritten Gruppe, da Sven und seine Kopfgeldjäger als ernstzunehmende Gegner mit einem gewissen Ehrenkodex das altbekannte Beziehungsgeflecht etwas auflösen, wenn auch nur temporär. In der Summe sorgt dies auch für den Effekt, dass der Roman trotz seiner Seitenstärke nur wenige Längen aufkommen lässt.
Zuletzt ist ein ausgesprochen umsichtiger Umgang mit der Rollenspielvorlage und der Hintergrundwelt bemerkenswert: Wie bisher auch fällt eine gewissenhafte Recherche auf, die aventurischen Begebenheiten werden – zumindest nach meinem Eindruck – korrekt wiedergegeben und stellen die bereisten Regionen auch atmosphärisch passend dar.

IV. Fazit
„Silberflamme“ führt die Geschichte der Wettfahrt der beiden lebenden Legenden Beorn und Phileasson gut fort. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Entwicklung der Beziehungskonstellationen in beiden Mannschaften gelegt, um der mittlerweile stark angewachsenen Figurenriege gerecht zu werden. Die eigentlich Handlung ist zwar in der Epik reduziert, aber atmosphärisch gut inszeniert mit passend gesetzten Höhepunkten.

Links zu den Vorgänger-Rezensionen:
Nordwärts
Himmelsturm
Die Wölfin

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für die Rezension.
    Ohm Follkers erzählerische Rolle stand zu Beginn der Arbeit an diesem Roman zur Disposition. Zwischenzeitlich gab es die Überlegung, ihn zur Perspektivfigur zu machen, was ihn stärker betont hätte. Wegen der Nähe zur Figur Phileasson habe ich mich jedoch dagegen entschieden – was aber kein „Beschluss mit Ewigkeitsgarantie“ ist. Möglicherweise werde ich den Skalden in einem der Folgebände in den Mittelpunkt rücken.

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