Rezension: Jenseits des Nebelwalds

Vorbemerkung: Wie schon im letzten Blogbeitrag thematisiert, ist mit Jenseits des Nebelwalds die letzte Myranor-Publikation des Uhrwerk Verlags erschienen. Der Südband hat dabei eine ausgesprochen lange Genese hinter sich, sind doch zwischen erster Ankündigung und finaler Auslieferung einige Jahre vergangen. Die viele Arbeit, die sich zwischen den Deckeln des Einbands verbirgt, wird allein schon durch die Vielzahl an Schreibern angedeutet, die Bandredakteur Peter Horstmann um sich versammelt hat, um den über 200 Seiten starken Band fertigzustellen. Umso spannender ist nun natürlich die Frage, ob der Band einen würdigen Abschluss darstellt und inwiefern die Komplettierung dessen, was mit Unter dem Sternenpfeiler begonnen hat, gelungen ist.

In Zahlen:

– 224 Seiten

– 13 Regionen

– Preis: 39,95 Euro

– Erschienen am 7.3. 2018

I. Aufbau und Inhalt

Bemerkenswert ist zunächst einmal die Aufmachung, handelt es sich doch um einen vollfarbigen Band, was für Myranor-Publikationen die absolute Ausnahme darstellt und den oben angesprochenen Anschluss an Unter dem Sternenpfeiler unterstreichen soll, ist es doch letztlich eine extrem seitenstarke Erweiterung der Welten- bzw. Kontinentbeschreibung.

Inhaltlich folgt der Band einem sich meist gleichenden Schema: Es werden nacheinander die zentralen Regionen und Kulturen vorgestellt. Dabei folgen zunächst einige geografische Beschreibungen, die um die relevanten Kartenausschnitte ergänzt werden. Dazu folgen Angaben zur Bevölkerungszusammensetzung und ein kurzer historischer Abriss mit ein paar Kerndaten. Die Einzelaspekte sind dabei nicht immer deckungsgleich, teilweise gibt es Abschnitte zur Religion, Gesellschaft und Politik. Neben diesen allgemeinen Passagen werden oft noch wichtige Personen der Region vorgestellt sowie ein paar Abenteueranregungen angeboten. Die beschriebenen Regionen weisen dabei in der Regel unterschiedliche Charakteristika auf, exemplarisch seien hier der titelgebende Nebelwald genannt, der als dampfender Dschungel geschildert wird oder die Narkramar, eine lebensfeindliche Wüstengegend, die den Bewohnern viel an Leidensfähigkeit abverlangt. Dazu kommen noch besonders exotische Settings wie das von Drachen beherrschte Dragestan. Die Kapitellänge ist höchst unterschiedlich, z.B. erhalten dichter besiedelte Gegenden oft längere Beschreibungen, weil z.B. die wichtigsten Städte aufgeführt werden. Weitgehend folgen die Kapitel einer Ordnung der Regionen von Norden nach Süden. Beinhaltet sind insgesamt 13 Regionen: der Pardir-Dschungel, das südliche Meer der schwimmenden Inseln, der Nebelwald, Alamar, Tharpura, Makshapuram, Shindrabar, das Thalassion, Te´Sumurru, Dragestan, die Nacennia-Straße, die Narkramar, die Lande der Kerrishiter.

Weisen die betreffenden Regionen besondere Bewohner oder eine besonders dominante Bevölkerungsgruppe auf, erhalten diese ebenfalls eine ausführliche Kulturvorstellung, immer bezogen auf die Begebenheiten vor Ort. Dabei werden unter anderem die für Myranor schon bekannten Pardir als Bewohner des Pardir-Dschungels berücksichtigt wie die Calmahi als Exoten, handelt es sich doch um Wesen, die an eine Mischform von Mensch und Tintenfisch erinnern.

Zwei Regionen (die Narkramar und die Lande der Kerrishiter) sind zudem mit Ingame-Geschichten angereichert worden, die die landestypische Atmosphäre unterstreichen sollen. Zur besseren Übersicht liegt dem Band eine ebenfalls vollfarbige Karte des myranischen Südens bei. Ein Glossar dient zuletzt dazu, mittels Schlagwörterverzeichnis die zentralen Begriffe gezielt ansteuern zu können. Getreu der Vorgabe durch den Editionswechsel hin zu DSA5 ist der Band vollkommen regelfrei gehalten, da ein entsprechendes Grundregelwerk für Myranor noch nicht existiert.

II. Kritik

Erneut liefert das Myranor-Team ein bemerkenswertes Beispiel für eine intensive und liebevolle Beschäftigung mit der Spielwelt ab: Jenseits des Nebelwald ist eine ausgesprochen lebendige Beschreibung des myranischen Südens, allenthalben finden sich neben den beschreibenden Passagen, die sich mit nüchternen Fakten beschäftigen, Abenteueranlässe, in denen regionalspezifische Begebenheiten so aufgemacht sind, dass sie den Spielern Anreize für ein Verbleiben liefern. Besonders positiv ist dabei die Vielfalt des Kontinents unterstrichen worden, eben durch den Umstand begünstigt, dass keine übergeordnete Zentralgewalt existiert, sondern stattdessen Einzelreiche mit teils unklaren Machtverhältnissen vorherrschen: Wer sich z.B. für ein Dune-artiges Setting begeistern kann, der wird mit der Narkarmar auf seine Kosten kommen, wo Wasser ein unfassbar kostbares Gut ist und der Wüstenreisende ständig bedroht ist durch Stürme, Sandhaie und ähnliche Bedrohungen. Die Küstenregionen ergänzen sich gut mit Myranische Meere und bieten zusätzliche Möglichkeiten, myranische Seefahrt lebendig werden zu lassen, z.B. durch die Inseln im Winde, in denen die unterschiedlichsten Mächte um die Vorherrschaft ringen, inklusive einer Niederlassung Brabaks als aventurischer Außenposten. Mein persönliches Highlight ist allerdings Dragestan, das Land der Drachen: Die Idee einer weitgehend urbanen Gesellschaft, deren sieben zentrale Städte jeweils von einem Drachen kontrolliert werden, gefällt mir ausgesprochen gut, zumal jede Niederlassung einen anderen Schwerpunkt hat. Hier ist es meiner Auffassung nach fast schon schade, dass gerade dieser Region ausgesprochen wenig Platz eingeräumt wurde.

Das ist ohnehin das einzig auffällige Manko eines ansonsten sehr gelungenen Bandes: Man merkt den einzelnen Passagen die Vielzahl der unterschiedlichen Autoren an. Die Kapitel variieren in Länge und demzufolge auch im Detailgrad sehr stark, auch die jeweils aufgenommenen Aspekte sind oft sehr unterschiedlich gewählt und wirken somit zum Teil uneinheitlich. Die beiden Kurzgeschichten sind zudem zwar absolut unterhaltsam, stellen aber innerhalb der Bandstruktur Brüche dar, auch weil nur zwei von 13 Regionen mit solchen Texten versehen wurden.

Grundsätzlich die Bandstruktur trotz dieser kleinen Auffälligkeiten aber gelungen, die intensive Nutzung der kleinen Kartenelemente sorgt für eine gute Übersichtlichkeit, die Beschreibungen sind sowohl trennscharf gehalten als auch dort überlappend, wo sich notwendige Überschneidungen ergeben, z.B. wenn die Verhältnisse verschiedener Regionen zueinander erwähnt werden. Die Einbindung von einzelnen Speziesexkursen lockert zudem die Lesbarkeit auf, indem der geografische Schwerpunkt ab und an etwas aufgelöst wird.

Natürlich bleibt Myranor im Vergleich zu Aventurien eine riesige Welt mit ganz anderen Dimensionen, sowohl was die Größe der Regionen als auch die Bevölkerungsdichte angeht. Somit müssen die Regionalbeschreibungen auf einer exemplarischen Ebene bleiben mit maximal bruchstückhafter Detailschärfe. Das ist aber keinesfalls ein Mangel, Abenteueranlässe sind – wie oben angesprochen – trotzdem in hoher Zahl vorhanden, müssen natürlich aber noch konkretisiert werden. In dieser Hinsicht hat man aber auch den Eindruck, dass der Band bewusst so angelegt worden ist. Selbst wenn (was ich nicht hoffen will) keine weiteren Myranor-Publikationen folgen sollten, kann man den gesamten Süden Myranors als schier unerschöpflichen Steinbruch für jedwede Art von Abenteuern nutzen. Auch wenn ich persönlich ein großer Anhänger der Idee des aventurischen Metaplots bin, zeigt sich hier, dass Myranor auch ohne eine solch fortschreitende Chronologie funktioniert und genügend Vielfalt beinhaltet.

So oder so liefert Jenseits des Nebelwalds ein nachdrückliches Plädoyer für eine Fortsetzung an Myranor-Produkten, die vielen angedeuteten Geschichten schreien förmlich nach einer Ausarbeitung und Konkretisierung und beweisen, dass die Macher nach wie vor Ideen haben, wie sie die Spielwelt lebendig in Szene setzen können. In dieser Hinsicht möchte ich meinen Appell für eine Fortführung Myranors durch die nun wieder verantwortlichen Ulisses Spiele nachdrücklich unterstreichen: Es lohnt sich! Insofern hoffe ich natürlich auch, dass der Band die verdiente Resonanz erfährt und möglichst viele Leser findet.

III. Fazit

Jenseits des Nebelwalds stellt einen starken Abschluss der Myranor-Publikationen des Uhrwerk Verlags dar. Der Band betont ein weiteres Mal die Vielfalt des Kontinents, der unheimlich viel Abwechslungsreichtum bietet, da sich die Regionen in Atmosphäre und kultureller Ausprägung sichtlich differenzieren. Auch wenn die Einzelkapitel stellenweise etwas uneinheitlich wirken, liegt die große Stärke doch in der Lebendigkeit, statt sich in allzu ausschweifenden Beschreibungen zu verlieren, liegt die Konzentration sehr deutlich auf einem großen Angebot an unterschiedlichen Abenteueranlässen.

Bewertung: 5 von 6 Punkten

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