Das Ende einer kleinen Ära

Der jüngste (heutige) Besuch des Paketboten brachte mir wieder das schöne Hochgefühl, endlich ein besonders lang erwartetes DSA-Werk in den Händen zu halten: Bei Jenseits des Nebelwalds handelt es sich um einen jener Bände, die zwar schon lange angekündigt waren, durch unterschiedliche Widrigkeiten aber eine große Zeitspanne bis zur Veröffentlichung gebraucht haben. Neben der Freude über das Endergebnis stellt sich in diesem Fall aber auch ein Gutteil an Wehmut ein: Gleichsam schließt der Myranor-Südband auch die DSA-Publikationen des Uhrwerk Verlags ab, da die Lizenz für Myranor und Tharun nun wieder zu Ulisses Spiele zurückgeht. Grund genug, einen kleinen Rückblick bzw. eine Würdigung vorzunehmen.

Sprechende Katzen – ohne mich!

Um die Jahrtausendwende schickte sich die DSA-Redaktion an, den lange gepflegten Mythos Güldenland endlich mit Leben zu füllen. Ausgangspunkt war das Übergangsabenteuer Reise zum Horizont, das ich damals hochgelungen fand, das aber in seiner ursprünglichen Variante kaum im neuen Kontinent spielte, sondern sich sehr auf die Überfahrt konzentrierte und dann vergleichsweise abrupt abbrach und längere Zeit unvollendet blieb. Nägel mit Köpfen wurde dann mit der Myranor-Box gemacht – und das war (in Kombination mit dem für mich wenig gelungenen ersten Abenteuer Palast der goldenen Tiger) auch erstmal der Endpunkt. Das Setting erschien mir zu weit weg vom geliebten Aventurien, zu exotisch und einfach zu fremd. Ohnehin erfolgte nach einigen ersten Publikationen eine längere Flaute.

Meine zweite Begegnung mit Myranor fand dann viele Jahre später statt, nachdem ich trotz meiner großen Skepsis aus zu vielen Ecken gehört hatte, dass Myranor mittlerweile durchaus eine ernstzunehmende Sache sein sollte. Also versuchte ich mich an Myrunhall, das einen kleinen Einblick in das Setting gewährt. Tatsächlich hat mich der Band dazu motiviert, wieder den „großen“ Blickwinkel zu wählen. Somit habe ich mich durch Unter dem Sternenpfeiler gearbeitet, das mich dann restlos gepackt hat: Der überarbeitete Weltenband ist eine in jeder Hinsicht vorbildliche Publikation, der einerseits die Vielfalt Myranors zeigt, andererseits überall auch schon Abenteueranlässe bietet, dazu in einem extrem modernen Design. Verantwortlich dafür: der Uhrwerk Verlag.

Gut Ding will Weile haben

Merklich ist Uhrwerk ein kleinerer Verlag, haben die Bände doch oft eine längere Vorlaufzeit gehabt und sind in deutlich kleinerer Schlagzahl erschienen als die Bände für den „großen Bruder“ Aventurien aus dem Hause Ulisses. Was sich dann aber in der Regel sehen lassen konnte, waren die Endergebnisse. Die Dichte gelungener Publikationen halte ich für sehr bemerkenswert: Die Neuauflage der Lamea-Kampagne Jenseits des Horizonts beispielsweise ist ein seitenstarkes Epos, das sich zwar durch einen vergleichsweise groben Stil in der Handlungsbeschreibung auszeichnet, aber in der Gesamtheit für mich den besten Entdeckerband für DSA darstellt. Die beiden Bände der Wächter des Imperiums-Kampagne beweisen, dass auch ohne einen Metaplot episches Geschehen und großformatiges Handeln möglich ist. Vor allem werden auch hier die modernen Aspekte des Settings in ein positives Licht gerückt, gerade die Reise auf dem Luftschiff ist hervorragend inszeniert. Als großer Thorwal-Fan stellt zudem ein Band wie Das Lied des Lor für mich ein Highlight dar, beweist er doch, dass man eine entsprechende Atmosphäre auch im Güldenland erzeugen kann.

Als erklärter Anhänger von Soloabenteuern hat es mich außerdem sehr gefreut, dass auch drei wirklich gute Solos herausgebracht wurden: Die verbotene Kammer ist ein erzählerisch und technisch gut gemachtes Abenteuer, Der letzte Tyrann verbaut irdische Anleihen bei der griechischen Antike sehr clever und ist zusätzlich wunderbar augenzwinkernd geschrieben. Legatin des Bösen halte ich in der Grundidee, einen der prominentesten Charaktere spielbar und nahbarer zu gestalten, für richtungsweisend, was meiner Meinung nach unbedingt weitergeführt werden sollte.

Altes in schönen neuen Gewändern

Ebenso hat sich der Uhrwerk Verlag in der Neuauflage von Tharun ausgesprochen verdient gemacht. Gerade hier wird der Eindruck, dass die Macher mit sehr viel Herzblut ihrer Arbeit nachgehen, dick unterstrichen. Die drei Bände sind hervorragend ausgearbeitet, mit viel Detailliebe, wenn an allen Ecken und Enden Abenteueranlässe aufploppen. Hier ist es sogar gelungen, mir Begeisterung für ein asiatisch angehauchtes Setting einzupflanzen, das will schon etwas heißen. Gerade der Abschlussband Schwerter und Giganten markiert nachhaltig das Potential.

Gleichzeitig ist die Genese der beiden letzten Publikationen auch ein Beispiel dafür, was für Probleme es mit sich bringt, wenn Lizenzen für das gleiche Spielsystem bei unterschiedlichen Verlagen liegen (das ist nebenbei vollkommen vorwurfsfrei gemeint). Das Erscheinen von DSA5 hat die Voraussetzungen für Uhrwerk massiv geändert, gerade für Tharun war das der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, da der Regelband zu Tharun quasi schon vor seinem Erscheinen eine Art von Relikt war. Und Schwerter und Giganten und Jenseits des Nebelwalds wurden, neben anderen Faktoren, auch dadurch massiv ausgebremst. Allerdings hat man eben auch das immer wieder mal verspürt, dass ein kleinerer Verlag hin und wieder Probleme in den Abläufen hat, die eine oder andere Veröffentlichung hat sich zwischen erster Ankündigung und letztendlichem Erscheinen doch arg verzögert, so dass zumindest offizielle Abenteuer in Myranor nicht unbedingt einen regelmäßigen Nachfluss garantieren konnten.

Vorbildliche Kundenpflege

Ich mag das Wort Kunde bezogen auf solche Sachen, die man sehr in sein Herz geschlossen hat, eigentlich nicht besonders. Trotzdem muss man solche Einschätzungen, wie sie hier im Artikel von mir getroffen werden, auch ein wenig rationalisieren. Uhrwerk ist ein Verlag und muss als solcher kommerziell ausgerichtet sein. Sprich: Natürlich muss ein Verlag einen anderen Blick auf seine Produkte haben, als dies aus Fansicht geschieht. Schließlich müssen die Macher damit ihren Lebensunterhalt verdienen und müssen somit auch im Blick haben, was sich gut verkauft. Trotzdem hat man hier immer den Eindruck gehabt, dass mit viel Begeisterung für die eigenen Produktlinien gehandelt wird. Besonderen Ausdruck hat das für mich immer im tollen Uhrwerk-Magazin gefunden, in dem die Verlagsreihen mit kostenfreien Material gestützt werden, das aber u.a. mit einem professionellen Layout hochwertig gestaltet wird. Zudem erhalten hier Fans eine Möglichkeit, ihre Ideen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Zuletzt muss aber auch noch die jüngste Maßnahme gewürdigt werden, wenn man sieht, dass das regelfreie Schwerter und Giganten mal eben schlappe 73 Seiten Zusatzmaterial im Banddesign erhält, in dem kostenfrei alle Regelbereiche nachgeliefert werden.

Und nun?

Ich hoffe sehr, dass Ulisses die Arbeit der vergangenen Jahre würdigt, indem die Arbeit in gleicher Weise fortgesetzt wird. Sicherlich können sinnvolle Veränderungen wertvollen Input bringen, doch muss man klar sagen, dass die Messlatte der vergangenen Jahre nicht gerade niedrig hängt. Das liegt sicherlich auch an den bewährten Autoren und Redakteuren, die die Reihe über einen langen Zeitraum geprägt und betreut haben. Hier würde es mich natürlich auch freuen, wenn bewährte Kräfte auch weiterhin die Gelegenheit bekommen würden, ihr Know-how auch in Zukunft einbringen zu können. Bereitschaftserklärungen gibt es ja unter den Myranor- und Tharun-Schreibern genug.

Somit verbleibt mir abschließend nur, dem Team des Uhrwerk Verlags für viele spannende Stunden mit ihren Produkten zu danken, verbunden mit der Hoffnung, dass Ulisses an diese hervorragende Arbeit anknüpfen wird (wovon ich aufgrund des vorhandenen Potentials allerdings ausgehe).

1 Kommentar

  1. Und nun? Nun ja, das war’s wohl…

    Ich gehöre ja zu den glücklichen Menschen die jedes Myranor Buch besitzen, sogar diese unsägliche Box, die ich mal geschenkt bekommen habe und da bildet dieser Band für mich einen guten Abschluss.

    Das da noch einmal irgendwann irgendwas kommt, wäre möglich, aber es hat Jahre gedauert bis die Regeln einmal vollständig waren und das man jemals wieder zu diesen Punkt kommt wie jetzt, das halte ich für unwahrscheinlich. Der Uhrwerk Verlag hat vorbildliche Arbeit geleistet und hinterlässt einen Kontinent der nun komplett bespielbar ist, sofern man an die Bücher noch rankommt versteht sich.

    Alles unter einem Verlag, das hat schon damals bei Fanpro nicht funktioniert. Man bräuchte eben ein Team die sich nur um Myranor kümmern, die freien Autoren werden dann aber an die Bücher gesetzt die sich verkaufen und das ist nun mal nicht das Güldenland oder Uthuria. Dabei gäbe es so viele Möglichkeiten mit den ganzen Kontinenten, wenn man mal ein paar Mauern einreißen würde, aber das war ja leider nie gewünscht.

    Memoria Myrana bleibt uns aber wohl erhalten, das ist wenigstens etwas.

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