Rezension: Gefangen in der Gruft der Königin

Vorbemerkung: Einer der Trends der vergangenen Jahre sind ohne Zweifel die Escape-Räume, die gerade in den größeren Städten fast wie Pilze aus dem Boden schießen. Sich aus verzwickt konstruierten Räumen binnen einer Stunde zu befreien trifft offenbar den Nerv der Zeit. Seit zwei Jahren ist der Trend auch in die Spieleindustrie hinübergeschwappt, mittlerweile kann man auch dutzendfach Varianten kaufen, mit denen man sich das Erlebnis in die eigenen vier Wände holen kann. Dem Trend folgend hat Ulisses Spiele das neue Abenteuer Gefangen in der Gruft der Königin von Jeanette Marsteller entsprechend als eine Art DSA-Variante eines Escape-Rooms beworben. Als erklärter Fan der Fluchtspiele handelt es sich somit um eines der Abenteuer, das ich in diesem Jahr besonders gespannt erwartet habe.

In Zahlen:

– 64 Seiten

– Preis: 14,95 Euro

– erschienen am 12.5. 2018

I. Inhalt und Aufbau

Das Abenteuer verfügt im Groben über eine Zweiteilung, bestehend aus einer längeren Hinführung und anschließend aus der konkreten Dungeonbeschreibung mit einem Schwerpunkt auf den dort vorfindbaren Rätseln.

Die Geschichte nimmt ihren Ausgang in einer der Städte des nunmehr befreiten Tobrien, wo plötzlich einige gleichermaßen alte wie wertvolle alhanische Artefakte auftauchen, die die Aufmerksamkeit der Helden oder ihrer potentiellen Auftraggeber erregen. Der Startort ist nicht eindeutig festgelegt, es existieren aber drei ausgearbeitete Vorschläge für die Städte Mendena, Eslamsbrück und Perainefurten. Dabei wird jeweils die besondere Atmosphäre des einzelnen Ortes beschrieben und dann ein möglicher Rechercheweg der Helden vorgestellt. Letztlich handelt es sich dabei um eine Personenkette: Über einen Verkäufer sollen die Helden einen Mittelsmann finden, der wiederum auf den dahinterstehenden Hehler verweisen kann, der zuletzt die Person kennt, die den Fundort der Artefakte kennt. Die Figuren sind zwar immer namensgleich, haben aber je nach Stadt eine etwas andere Hintergrundgeschichte. Offen bleibt auch, ob die Spielercharaktere aus Eigenantrieb aktiv werden oder ob sie einen Auftraggeber haben. Für letztere Variante sind wiederum mehrere Vorschläge existent. Die Methoden der Helden bei ihrer Ermittlung sind nicht vorgeben, gleichermaßen werden Haudrauf-Aktionen wie strategisches Vorgehen berücksichtigt.

So oder so dürfte in letzter Konsequenz das Resultat sein, dass die Helden irgendwann den Fundort der Artefakte ermittelt haben, eine alte alhanische Grabkammer, die es im zweiten Teil des Bandes zu erkunden gilt. Hier findet sich Raum für Raum eine detaillierte Beschreibung. Dabei liegt der Schwerpunkt auf einer Rätselkette, die so konstruiert ist, dass man zumeist einem vorgegebenen Pfad folgen muss. Gelöst wird dies insofern, als dass man überall Hinweise findet, die bei der Auflösung bestimmter Rätsel helfen, die man aber erst erhält, wenn man zuvor eine andere Knobelei erfolgreich bewältigt hat. Die Rätsel sind dabei sowohl in Eigenleistung der Spieler lösbar als auch in Form von Probemechanismen. Zudem ist die Anlage zwar uralt, aber keineswegs völlig unbewohnt, somit gibt es auch einige mehr oder weniger unliebsame Begegnungen mit teils sehr schlagkräftigen Wesen. Überall stößt man auf Überreste der alhanischen Kultur, sei es in Form von zurückgelassenen Artefakten oder auch auf deren teils längst vergessene Magie, die oft aber auch in der aventurischen Jetztzeit noch wirksam ist und z.B. Fallen auslösen kann.

Im Anhang finden sich weitere Anregungen für Fallen und Rätsel, die der Spielleiter zusätzlich einarbeiten kann. Zudem werden hier optionale Panikregeln vorgestellt, mit denen das Gefühl des Eingeschlossen-Seins in der Grabanlage simuliert werden kann bzw. welche Auswirkungen dies auf die Spielercharaktere haben kann.

II. Figuren

Tatsächlich beschränken sich relevante Figuren fast ausschließlich auf den ersten Teil des Abenteuers, wenn die Helden in der Stadt nach dem Fundort der Artefakte suchen. Hier ragt eindeutig der Hehler Salik Raffzahn heraus, der den Typus des kultivierten Schurken verkörpert, der in einem breiten Spannungsraum von brutal-höflich bis hin zu phexisch-anerkennend auf seine Gegenspieler reagieren kann. Hier existieren einige witzige Charakterdetails wie eine Kochversessenheit, die sogar von seinen Schergen hinter seinem Rücken etwas belächelt wird. Passender Weise ist es aber nicht einfach, zu ihm vorzudringen, dies kann nur durch den Weg über seine Handlanger geschehen.

In der Ruine selbst gibt es zwar durchaus Wesen, denen man begegnen kann, als einzige über eine individuelle Persönlichkeit verfügt aber nur die ehemalige Priesterin Hanija, die eine Art Joker darstellen kann, falls Hilfestellungen vonnöten sind. Bei ihr passt vor allem der tragische Charakter als Priesterin, die ihre Bestimmung nicht annehmen wollte und nun seit Jahrtausenden einen grausamen Preis dafür bezahlen muss.

III. Kritik

Wie schon angesprochen bin ich ein großer Fan des Escape-Genres, sei es in der realen Form als auch bei den Brettspielvarianten. Umso spannender war für mich natürlich die Frage, inwieweit sich das motivierend auf ein Rollenspielheft übertragen lässt. Tatsächlich gelingt dies meiner Meinung nach ziemlich gut. Die Autorin hat sich große Mühe gegeben, eine große Spannbreite von Rätseln zu schaffen, von mathematischen Spielereien über Kombinations- und Logikrätsel bis hin zu den simpleren Suchspielen, bei denen man gefundene Elemente mit etwas anderem in Verbindung bringen soll. Alle Rätsel sind auch ohne (die aus meiner Sicht langweiligen) Proben lösbar und stellen zudem eine gute Strukturierung des Dungeons dar, so dass man wirklich fast alle Stationen durchlaufen muss, ohne dass ein unnötiges Gefühl der Gängelung aufkommt. Durch den Rätselpfad der Priester ist zudem sogar eine plausible Erklärung für diese Konstruktion der Anlage vorhanden. Mit den Bildern und Handouts fühlt sich das Ganze außerdem ausgesprochen aventurisch an, auch wenn irdische Vorlagen nicht zu leugnen sind. Mit Hanija ist sogar auf elegante Weise eine zur Umgebung passende Instanz als Tippgeberin eingefügt worden, mit der der Spielleiter gegebenenfalls helfend eingreifen kann. Gut integriert sind aber auch die Illustrationen, die diesmal auch spielpraktische Funktionen haben, müssen doch auch mehrfach visuelle Eindrücke umgesetzt werden (z.B. Symboltafeln). Ebenso existiert alles, was an Kartenmaterial benötigt wird. Wichtig ist auch ein Übersichtstableau für den Spielleiter, das alle Rätsel zusammenfasst, z.B. in welchen Räumen Hinweise oder Hilfsmittel enthalten sind, die mit konkreten Rätseln verknüpft sind.

Aber auch der einführende Teil wirkt überzeugend, ebenso ist die variable Anlage hilfreich, dem Spielleiter einen Einstieg nach eigenem Gusto zu ermöglichen. Die Jagd nach der Person, die als einzige den Fundort kennt, ist schlüssig aufgebaut und setzt die Interaktion mit einigen interessanten Halbwelt-Figuren voraus. optional mit einer rasanten Verfolgungsjagd garniert. Ob die Helden hier eher brachial vorgehen, eher auf Listenreichtum setzen oder sich gar mit ihren Gegnern arrangieren, ist vollkommen offen gelassen.

Die einzige Schwachstelle stellt für mich das umgekehrte Fehlen interessanter Figuren im Dungeon dar. Einzig Hanija hat hier einen eigenständigen Charakter, alle anderen Begegnungen sind rein auf die Funktion als Schlachtfutter hin angelegt, hier hat man meiner Meinung nach etwas zu sehr auf die Rätselkarte gesetzt. Gerade die interessante Hintergrundgeschichte, die in die Dunklen Zeiten zurückreicht, bietet sicherlich noch genügend Potential, weitere NSCs einzubinden, sei es als Untote oder Geister oder auch mögliche Konkurrenten, die ebenfalls nach der Grabkammer suchen. Somit wirkt die Anlage insgesamt etwas leer. Das mag ja für die realen Vorbilder durchaus stimmig sein, damit man sich auf die Rätsel konzentrieren kann, hier aber hätte dies noch zur Intensivierung beitragen können, schließlich hat man ja auch kein enges Zeitlimit wie in den echten Räumen.

Höchst erfreulich finde ich die Freigiebigkeit, mit der das Vordringen in das düstere und hochgefährliche Grab honoriert wird. DSA-Abenteuer genießen nicht zu Unrecht den Ruf, in Sachen Belohnung durch Artefakte und ähnliche nützliche Gegenstände ziemlich geizig angelegt worden zu sein. Das ist hier anders, neben beachtlichen Vermögenswerten kann man gleich mehrere besondere Gegenstände auffinden und in Besitz nehmen. In dieser Hinsicht würde ich mir das Abenteuer sogar als beispielhaft wünschen, immerhin handelt es sich lediglich um den einen oder anderen nützlichen Effekt, den man dazugewinnen kann, nicht um allmächtige Waffen im Sinne des legendären Bogen Immertreff. Zuletzt steht man zusätzlich vor der moralisch schwierigen Entscheidung, was man mit all den erworbenen Reichtümern zu tun ist: Soll man sie behalten oder an einen etwaigen Auftraggeber weitergeben, z.B. an die Norbarden zur Wahrung/Stärkung der alhanischen Vergangenheit?

IV. Fazit

Gefangen in der Gruft der Königin ist ein gelungenes Dungeon-Abenteuer, das den Stil der Escape-Games gut einfängt und auf aventurische Verhältnisse ummünzt. Die Rätsel sind stimmungsvoll und lösbar konstruiert, zudem gut in die atmosphärische Grabanlage eingefügt. Einziges Manko ist das insgesamt etwas leer wirkende Grab, hier fehlen interessante Figuren, wie sie im sehr variablen Einstiegsteil noch vorhanden sind.

Sicherlich wird hier nicht das Rad neu erfunden, immerhin sind geschlossene Räume, Fallen und Rätsel ja eigentlich ureigene und klassische Bestandteile des Rollenspiels (insofern wandeln die Escape-Rooms auch eher umgekehrt auf den Pfaden des Rollenspiels), allerdings gefällt mir hier besonders die ausgesprochen konsequente Umsetzung, die Jeanette Marsteller vorgenommen hat.

Bewertung: 5 von 6 Punkten

6 Kommentare

  1. Das klingt im Großen und Ganzen recht gut. Mich führst du damit auf jeden Fall in Versuchung. Es freut mich auch immer wieder, wenn man merkt, dass DSA die teils höchst seltsamen Dungeons seiner Frühzeit (abgesehen von den Retro-Remakes neuerdings) hinter sich gelassen hat.

    Und auch wenn du es vielleicht schon kennst, merke ich mal an, dass auch Das letzte Stündlein aus der Anthologie Dämmerstunden quasi ein Escape-Room szenario bietet.

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  2. Moin moin,
    sehr schöne Rezension. Ich bin auch großer Fan von Escape-Spielen, und das dann noch als Pen and Paper Abenteuer, da überlegt man nicht zweimal, ob man sich das Abenteuer kauft.
    Viele Grüße
    Dustin

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  3. Die Zwölfe zum Gruße,

    gestern haben wir das Abenteuer beendet.
    Mir und meinen Spielern hat es sehr gefallen. Sehr gut an, kam die Aufteilung in zwei Teile, sodass man nicht nur ein reines old school indoor Abenteuer hatte, sondern auch einen freieren Teil in der Stadt.
    In Erinnerung bleiben werden definitiv die Verfolgungsjagd im ersten Teil und die Panik-Regeln im zweiten Teil.
    Während ein Held ohnmächtig herum lag und ein weiterer panisch kreischend im Kreis lief, war der dritte komplett überfordert mit der Situation.
    Wunderbar dies zu erleben und zu beobachten, wie es weiter ging.
    Die Rätsel kamen gut an und wurden komplett ausgespielt und nicht ausgewürfelt.
    Noch nie musste unsere bornländische Jägerin so viel reden-er war der einzige der sich in Wort und Schrift mitteilen könnte. Da war nix mit dem üblichen ‚lass die anderen mal reden‘.
    Als nächstes steht die Gunst des Fuchses an.

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    1. Schön, dass das Abenteuer dich auch im Spieltest überzeugen konnte. Sowas wie die Panikregeln ist zwar nicht meins, aber wenn es wirklich zur Atmosphäre beitragen kann, dann haben sie ja ihren Zweck erfüllt.
      Die Gunst des Fuchses ist dann aber ein ordentlicher Kontrast, vom düsteren Dungeon in ein atmosphärisch viel leichteres Heist-Abenteuer im heiteren Belhanka. Aber eine gute Wahl, auch das ist für mich ein sehr gutes Abenteuer mit enorm viel spielerischer Freiheit.

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      1. Ich war beim Lesen auch nicht sicher wie die Panikregeln im Spiel wirken würden. Aber die Erfahrung war echt gut.

        Und nach diesem recht geradlinigen Abenteuer habe ich mich nun bewusst für ein sehr freies entschieden.

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