Rezension: Heldenbrevier Havena

Vorbemerkung: Als ich vor einigen Jahren im Zusammenhang mit den Konzeptplänen für die DSA5-Regionalspielhilfe um die Streitenden Königreiche das erste Mal von der Idee der Heldenbreviers gehört hatte, war ich zugegebenermaßen sehr skeptisch: Wozu sollte man neben der Spielhilfe und dem Abenteuermaterial noch einen ganzen Erzählband brauchen? Mittlerweile sehe ich das deutlich anders, waren doch die ersten beiden Bände überzeugend gemacht, indem jeweils eine interessante Handlung mit einer anschaulichen Ausgestaltung des jeweiligen Settings verbunden wurde. Somit ist bei mir die Hoffnung groß, dass auch das Heldenbrevier Havena von Carolina Möbis ein echtes Lesevergnügen darstellt.

In Zahlen:

– 160 Seiten

– Preis: 14,99 Euro

– Erschienen am 25.10. 2018

I. Aufbau und Inhalt

Wie bei den beiden bisherigen Exemplaren handelt es sich auch hierbei um eine Art Briefroman, in dem verschiedene Erzählfiguren gemeinsam eine Handlung vorantreiben. Allerdings handelt es sich dieses Mal um drei sehr unterschiedliche Arten von Texten, die den drei Protagonisten zugesprochen werden: Zum einen sind da die Briefe von Coran Saordubh an seine Frau Meriwen. Bei Coran handelt es sich um einen sehr honorigen Bürger Havenas, einem Mitglied des Rats der Kapitäne, der gleichzeitig auch Initiator des Geschehens ist, vermisst er doch seinen Neffen Jaemesh, ob seines unsteten Lebenswandels das schwarze Schaf der angesehenen Familie.

Die anderen beiden Perspektiven gehören den beiden Ermittlern, die Coran in der Folge anwirbt, um seinen Neffen zu finden: Zum einen handelt es sich dabei um das sympathische Schlitzohr Meredin Inveric, der von seinen Erlebnissen in Form seiner geheimen Memoiren berichtet. Dessen Gefährtin, die Hehlerin Lynn Seehoff, wird in der wohl ungewöhnlichsten Form als Erzählerin verwendet, sind ihre Beiträge doch in Form von sehr gestelzt formulierten Briefen an ihren Advokaten verfasst, mit denen sie sich gegen etwaige Vorwürfe von Gesetzesüberschreitungen im Rahmen der Ermittlungen wappnen will.

Sich jeweils immer wieder ergänzend erzählen die drei Protagonisten die Geschichte ihrer Recherche, wobei die Methoden sehr unterschiedlich sind. Coran fungiert als Ehrenmann, der trotzdem handfest agieren kann und der eine offene Vorgehensweise bevorzugt. Merdin und Lynn hingegen nutzen all ihre Unterweltkontakte, um Jaemeshs Spuren zu verfolgen, die tatsächlich immer deutlicher bezeugen, dass der junge Mann tiefer in dunkle Machenschaften verstrickt ist, als es gesund erscheint.

Im Laufe der Ermittlung werden viele bekannte Orte aufgesucht, unter anderem die Imman-Kneipe Esche und Kork und natürlich auch die Unterstadt. Mehr als einmal erweist sich, dass sie sich mit gefährlichen Gegnern eingelassen haben, die auch vor tätlichen Übergriffen nicht zurückschrecken.

Wie schon die vorherigen Bände weicht auch dieses Heldenbrevier vom üblichen farbigen Illustrationsstil der übrigen DSA5-Produkte ab und ist mit schwarz-weiß-Zeichnungen von Katharina Niko versehen.

II. Kritik

Was mir wirklich gut gefällt, ist der von Carolina Möbis gepflegte Briefroman-Stil. Was auf den ersten Blick wenig spektakulär wirken mag, erweist sich als passende Erzählform für Geschichten wie diese, in denen weniger die Spannung im Vordergrund steht, ob die wackeren Helden überleben werden, sondern eher, wie sie ihr Ziel erreichen. Der ruhige Stil erlaubt sehr atmosphärische Beschreibungen und zeichnet sich auch oft durch eine gehörige Prise Humor aus. Besonders auf die Spitze getrieben wird dies in Lynns Briefen an ihren Rechtsanwalt, wenn sie durch möglichst blumige und sachneutrale Schilderungen ihren Anteil an einer zünftigen Kneipenschlägerei verharmlosen möchte. Ebenso wirkt der Kontrast zwischen den Briefen des eher untadelig-spießigen Coran und den sehr ich-fixierten Memoiren von Meredin sehr markant, um den gegensätzlichen Charakter beider Figuren zu unterstreichen.

Auch den Zweck einer narrativen Ausmalung der Hafenstadt in Ergänzung zur Spielhilfe erfüllt das Heldenbrevier gut, wandelt man doch quasi mit den Protagonisten durch die Stadt, während der Recherche werden viele typische Stationen angesteuert. Hier gefällt mir auch das Flair, das stellenweise an das viktorianische, nebelverhangene London mit seinen Hafenspelunken und den großen Gegensätzen zwischen den einfachen Bürgern und den Stadtoberen erinnert. Gerade auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtteilen werden sehr anschaulich, erhält man sie doch aus der Sicht der Einheimischen geschildert.

Dabei ist Coran oft eher auf dem gesellschaftlich respektierten Feld unterwegs, während er beispielsweise mit Graustein diniert, wohingegen Meredin und Lynn die Hafenspelunken, Hehler etc. abgehen. Zuletzt wird sogar die Unterstadt aufgesucht, wobei man das Unbehagen selbst abgebrühter Veteranen verspürt, die sich hier nicht länger als notwendig aufhalten wollen. Generell ist die Wahl der Protagonisten gut gelungen, sind es doch durchweg sympathische und vielschichtige Charaktere. Als positiv erweist sich im Vergleich zum Heldenbrevier der Siebenwindküste die Reduzierung auf drei Figuren, so dass mehr Raum zur Charakterisierung zur Verfügung steht.

Die Krimigeschichte um den verschwundenen Jaemesh entwickelt sich langsam, da nicht alle Ermittlungsansätze schnell zum Ziel führen, nimmt dann aber gut an Fahrt (und vor allem Spannung) auf, sobald sich herauskristallisiert, dass der junge Mann in ernsthaften Schwierigkeiten steckt und sein Handeln eventuell größeren Schaden anrichten kann. Was allerdings dramaturgisch für mich dieses Mal einen echten Schwachpunkt darstellt, ist das ausgesprochen unbefriedigende Ende. Nach dem Ausflug in die Unterstadt fehlt mir am Ende eine zufriedenstellende Auflösung. Gerade bei einem Krimischwerpunkt habe ich als Leser das Bedürfnis, eine Antwort auf die zentralen Fragen zu bekommen: Wer genau sind die Verschwörer, mit denen Jaemesh sich eingelassen hat? Wer war der Mann mit der Rochentätowierung? Was hat es mit der muschelförmigen Schale auf sich? Hier weitgehend im Dunkeln gelassen zu werden, entspricht nicht dem Ende, das ich mir gewünscht hätte. Zudem wird die Überwältigung der Hintermänner in ein paar Zeilen abgehandelt, was mir für so einen dramatischen Moment nicht angemessen erscheint.

III. Fazit

Auch das Heldenbrevier Havena hat mir wieder viel Lesespaß bereitet, der Briefroman liest sich gleichermaßen spannend wie auch amüsant. Das Ziel, die Atmosphäre Havenas in narrativer Form einzufangen, wird voll erreicht, wenn die man die drei Protagonisten bei ihren Ermittlungen durch die einzelnen Stadtteile begleitet. Als dramaturgisch problematisch empfinde ich das Ende, das für meinen Geschmack viel zu viele offene Fragen hinterlässt.

Bewertung: 4 von 6 Punkten

3 Kommentare

  1. Vielen Dank, Engor. Immer wieder.
    Wenn ich Rochen- und Muschelfragen am Ende unbefriedigend gelöst vorfinde, bin ich nicht in naheliegender Weise für einen Folgeplot in Startposition gebracht worden? Viel mehr als bei einem abgeschlossenen Roman finde ich im Heldenbrevier einen Teaser sinnvoll und legitim platziert. Allein sollte man natürlich tunlichst merken, dass man nur an einem Cliffhanger nagt und nicht am Abgabetermin der Autorin. Gut, dass Du uns hier warnst 😉

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    1. Das ist natürlich immer auch das Subjektive an einer Wertung. Ob da jetzt eine Verbindung zu einem kommenden Abenteuer dahintersteckt oder nicht, weiß ich nicht. Aber bei mir ist es, wenn ich einen Krimi lese – und um nichts anderes handelt es sich hier – eigentlich immer so, dass mich offene Sachen stören. Das tut nebenbei meinem persönlichen Lesespaß trotzdem keinen Abbruch, ich habe mich außerordentlich kurzweilig unterhalten gefühlt.

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