Retro-Check: Tödlicher Wein

Vorbemerkung: Wer auch immer auf eine längere DSA-Karriere zurückblicken kann, für diejenige/denjenigen gibt es auch abseits der großen Kampagnen das eine oder andere Abenteuer, das besonders in Erinnerung geblieben ist. Oft sind es die Abenteuer, die man als Einstieg in die Spielwelt genommen hat. In meinen Fall sind das neben dem Buch der Abenteuer aus der DSA3-Box und Das Grabmal von Brig-Lo noch Tödlicher Wein (von Hadmar von Wieser, Ulrich Kiesow und Ulrich Schade), das somit auch mein erstes Stadtabenteuer darstellte. Da der Sammelband im vergangenen Jahr auch Teil der Neuauflage der alten Havena-Box war, bietet sich nun die Gelegenheit zu einem nostalgischen Retro-Check, bei dem für mich auch interessant war, ob die schöne Erinnerung tatsächlich pure Verklärung ist oder ob es sich wirklich um einen gut gealterten Klassiker handelt.

In Zahlen:

– 63 Seiten

– 3 Abenteuer

– erschienen 1987 (neuaufgelegt 2018)

– Preis: 12,95 Euro

I. Aufbau und Inhalt

Unter dem Titel Abenteuer in Havena handelt es sich um einen Sammelband, der drei Gruppenabenteuer vereinigt, wobei die ersten beiden Abenteuer thematisch miteinander verbunden sind, während das titelgebende Tödlicher Wein für sich allein steht.

Das Geheimnis des Mechanikus enthält den ersten Auftritt eines der wichtigsten NSCs der gesamten Spielwelt, ist der Auftraggeber der Helden doch niemand Geringeres als Leonardo der Mechanikus. Der berühmte Erfinder sieht sich im Vorfeld der Präsentation einer neuen Erfindung durch eine Reihe von Sabotageakten bedroht und wirbt deshalb handfeste Heldengruppen an, um sein Anwesen zu schützen. Den Helden fällt dabei die Aufgabe der Nachtwache zu (an den eher ereignisarmen Tagen wacht eine andere Gruppe, mit der zwischenzeitlich auch immer wieder ein kurzer Informationsaustausch erfolgt). Das Abenteuer ist einfach strukturiert, nach der Vorstellung von Auftrag, Anwerbung und Abenteuerhintergrund wird zunächst das Anwesen beschrieben, mit allen Einschränkungen, z.B. Fallen oder Räumlichkeiten, die die Spielercharaktere laut Leonardos Anweisung nicht betreten können. Zudem ist eine Handlungsabfolge vorhanden, die Tag für Tag die Ereignisse (vornehmlich der Nächte) schildern, wobei die Helden sich mehrfach als Kämpfer beweisen müssen. Daneben sind noch einige Rechercheaufgaben möglich, wenn sie über ihren Auftrag hinausgehen und die Hintergründe der Sabotageakte in Erfahrung bringen wollen oder auch, wenn sie herausfinden wollen, an welchem geheimnisvollen Konstrukt der Mechanikus arbeitet.

Die Taucherglocke knüpft direkt an die vorhergehenden Ereignisse an, sollen die Helden doch nun in Leonardos Auftrag aus einem Gebäude in der Unterstadt einige wertvolle Aufzeichnungen heben. Erschwert wird dies aber durch den Umstand, dass das Objekt der Begierde unter Wasser zu finden ist. Als Hilfsmittel wird dabei die titelgebende Taucherglocke, eine der Erfindungen Leonardos, verwendet, die den tauchenden Helden als Basis für ihre Tauchgänge dient. Hier gilt es in der Folge, das grob umrissene Areal abzusuchen, bis das Gesuchte gefunden wird. Dazu ist eine Beschreibung des betreffenden Bereichs der Unterstadt vorhanden, nebst den dort vorhandenen Gefahrenquellen.

Nach dieser Entdeckungsreise ist Tödlicher Wein hingegen ein reines Kriminalabenteuer. In den letzten Wochen kam es in Havena zu einer Reihe von Todesfällen, die durch den Konsum eines mit Drogen versetzten Weins verursacht wurden. Nachdem die Helden Zeugen eines solchen Vorfalls wurden, erhalten sie einige Hinweise, denen sie folgen können. Ein kurzer Trip durch die lokale Unterwelt führt schließlich zum Ursprungsort des Weins, an dem nun die Täter ermittelt werden sollen, was sich als nicht ganz einfach erweist, leben dort doch viele unterschiedliche Personen. Zusammen mit der zentralen Örtlichkeit werden auch die Hintergründe geschildert, allerdings gibt es hier keinen klaren Handlungsablauf.

II. Kritik

Tatsächlich hat sich beim Lesen sofort ein hoher Wiedererkennungswert eingestellt, obwohl es über 20 Jahre her ist, dass ich die Abenteuer gespielt habe, war mir der jeweilige Inhalt noch sehr geläufig. Das liegt aber weniger an großen und epochalen Szenen mit hohem Erinnerungswert, sondern an der sehr einfachen Struktur, die sich durch alle drei Einzelabenteuer zieht.

Der Handlungsablauf ist jeweils sehr gradlinig konstruiert: Das Geheimnis des Mechanikus beinhaltet ja nur einen sehr simplen Wachauftrag, bei dem man strenggenommen einfach nur seine klar definierten Aufgaben einhalten muss, also ein paar Sabotageakte abzuwehren. Diese bauen aufeinander auf, wobei unterschiedliche Gegner durchaus für Abwechslung sorgen. Spannender wird es, wenn man sich abseits davon von seiner Neugier leiten lässt und recherchiert. Dabei kann man einerseits die Natur der Erfindung in Erfahrung bringen, andererseits sich mit den Hintergründen der Angriffe beschäftigen. Hier sind allerdings auch schnell die Grenzen erkennbar, denn darauf werden in den Tagesbeschreibungen immer nur ein paar einzelne Zeilen verwendet, so dass fast alles, was außerhalb von Leonardos Anwesen spielt, vom Spielleiter ergänzt werden muss. Hier ist sicherlich der Besitz einer Stadtbeschreibung von Havena sehr hilfreich (die beiden Sammelbände Seuche an Bord und Tödlicher Wein waren aber damals auch als Ergänzung zur Box gedacht). Wie damals üblich ist aber keine allzu große Flexibilität vorgesehen, die Ereignisse sind klar vorgegeben und vielfach sind die üblichen Ansätze von Spielergängelung vorgesehen, beispielsweise wenn der Spielleiter gut überlegen soll, ob er den Helden Leonardos Erfindung wirklich zugänglich machen soll oder diese zerstört werden soll, weil sie die Spielbalance stören könnte.

Die Taucherglocke ist sicherlich das Abenteuer, das besonders einfach gehalten wird. Handlung gibt es im Prinzip wenig als Vorgabe, letztlich sollen die Helden mit der Taucherglocke schlicht ein abgegrenztes Areal untersuchen, wobei der Beschreibungskern dabei wiederum auf dem eigentlichen Fundort liegt, alles andere muss ebenfalls weitgehend improvisiert werden. Den Reiz gewinnt das Szenario natürlich aus der fremden Umgebung, können die Helden doch unter Wasser nicht auf alle ihre gewohnten Fähigkeiten und Ausrüstungsgegenstände zurückgreifen. Somit kann vor allem die Atmosphäre überzeugen. Etwas merkwürdig muten wieder einige geskriptete Ereignisse an, die zusätzliche Spannung erzeugen sollen, aber eben zu wenig Hintergrundfutter haben, z.B. ein Sabotageakt und ein Piratenüberfall.

Auffällig ist auch, dass in beiden Abenteuern die Figur des Leonardo noch nicht seine heutige Ausprägung hat, erhält man hier nur den Eindruck eines kompetenten und zerstreuten Erfinders, der allerdings auch als eher distanziert geschildert wird.

Tödlicher Wein hat als Krimiabenteuer den komplexesten Handlungshintergrund. Gelungen ist hier die Recherchekette, die die Helden bis zum eigentlichen Ort des Geschehens führen soll, vor allem, wenn man auf die alte Havena-Box mit ihrer Beschreibung der dortigen Unterwelt zurückgreifen kann. Der Kriminalfall selbst ist relativ einfach aufgebaut und auch der Handlungsort ist im Endeffekt doch recht überschaubar, so dass es letztlich wenig problematisch ist, schnell die Lösung zu finden. Hier fehlen mir noch mehr falsche Spuren und alternative Verdächtige, ist doch gerade der zentrale Antagonist auch noch eine recht auffällige Figur, verfügt aber umgekehrt auch nur überschaubare Mittel, um eine Herausforderung im Stile eine großen Finales darzustellen. Gerade hier macht sich der vergleichsweise geringe Beschreibungsplatz bemerkbar. Reizvoll ist allerdings die Kulisse der Efferdschule mit ihren kleinen und großen Geheimnissen.

III. Fazit

Was unterm Strich für alle drei Abenteuer gilt, ist der Umstand, dass es sich um sehr einfache Ereigniskonstrukte handelt, die in dieser Hinsicht mit moderneren Abenteuern nicht mithalten können. Dafür ist der ursprüngliche Zweck, die Settingbeschreibung der Havena-Box um spielbare Abenteuer zu ergänzen, voll erfüllt. Gerade die ersten beiden Abenteuer gefallen mir in ihrer Schlichtheit immer noch, vor allem wenn man neben dem Handlungskern die Hintergründe noch etwas mehr ausleuchtet. Gerade das Geheimnisvolle, das die Erfindungen Leonardos umgibt, kommt hier gut zur Geltung, gerade wenn man sich mit der Taucherglocke in die Untiefen der Unterstadt begeben kann. Tödlicher Wein hingegen ist als Krimihandlung im Vergleich zu Krimiabenteuern jüngeren Datums zu wenig variantenreich, bietet aber vornehmlich eine interessante (wenn auch für ausgiebige Recherchen zu kleine) Kulisse.

Bewertung: 4 von 6 Punkten

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