Rezension: Kerkergeschichten

Vorbemerkung: Mit Einführung der fünften Edition von DSA hat sich auch das Erscheinungsbild geändert, die neuen Illustrationen sind vollfarbig, zudem wurden eine Reihe von prototypischen Figuren eingeführt, die sogenannten ikonischen Helden, die immer wieder in den Bildern auftauchen, um einen Wiedererkennungseffekt zu erzeugen. Genau diese ikonischen Helden erhalten jetzt etwas mehr Hintergrund, sind sie doch die Protagonisten im Kurzgeschichtenband Kerkergeschichten, in dem die einzelnen Geschichten eine oder mehrere dieser Figuren in den Mittelpunkt stellen, im Regelfall mit einer prägenden Episode aus ihrem Leben.

In Zahlen:

– 320 Seiten

– 9 Kurzgeschichten

– Erschienen am 28.11. 2019

– Preis: 14,95 Euro

I. Aufbau und Inhalt

Insgesamt handelt es sich um neun einzelne Kurzgeschichten. Allerdings erhalten diese durch die erste Geschichte Um Kopf und Kragen von Lena Zeferino eine Art von Bindeglied. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass der halbelfische Streuner Carolan bei einem Aufenthalt der Heldengruppe in Khunchom von seinen Gefährten getrennt im Gefängnis landet. Seine Mitinsassen sind alles andere als angenehme Gestalten, allerdings gelingt es ihm, ihre brutalen Schikanen dadurch zu beenden, dass er sie mit kurzweiligen Abenteuern aus seinem Leben und denen seiner Freunde bei Laune hält. Dabei beginnt er mit den Ereignissen, die ihn in seine aktuelle missliche Lage gebracht haben: Eine Glücksspielrunde führt direkt in das Schlafgemach einer Dame aus der Oberschicht Khunchoms, die ihm allerdings die Existenz eines gleichermaßen mächtigen wie eifersüchtigen Ehemanns verschwiegen hat, womit er vor der Herausforderung steht, das Anwesen unbemerkt zu verlassen.

Dem schließen sich zwei ausgesprochen dramatische Geschichten an, die für die beiden Hauptfiguren traumatische Geschehnisse beinhalten: Das Ende der Kindheit von David Nikolas Schmidt schildert, wie der junge Geron miterleben muss, wie sein Heimatdorf von Orks angegriffen wird, was ihn zu einem Flüchtling macht, der sich auf den gefahrvollen Weg nach Gareth begeben muss. Ebenfalls in die Kaiserstadt führt der Weg Arboschs in Feuertaufe von Thorsten Most. Zeitlich ist dies im Jahr des Feuers angesiedelt, in dem der Zwerg Augenzeuge der Angriffe auf Wehrheim und Gareth wird und großes Leid miterleben muss.

Unter Räubern von Katja Reinwald versetzt den Traviageweihten Bruder Hilbert in eine ausgesprochen missliche Lage. Nachdem er miterlebt, wie eine Feenritterin eine Bande von Räubern stellt und von diesen niedergestreckt wird, wird auch er überwältigt und von diesen in ihr Lager verschleppt, wo er sich um die Wunden der verletzten Schurken kümmern soll. Dabei beschleicht ihn das Gefühl, dass ihm Schreckliches droht, sobald die Bande keinen Bedarf mehr an seinen Diensten hat.

Ottajara von David Nikolas Schmidt zeigt die Thorwalerin Tjalva am Abend vor ihrer Ottajara, einer Aufnahmeprüfung in die Gemeinschaft der Kriegerinnen und Krieger in der Premer Kriegerschule. Während ihre MitstreiterInnen die Nacht mit derben Scherzen und viel gegenseitigem Spott verbringen, fokussieren Tjalvas Gedanken sich auf ihr walwütiges Erbe, sie sorgt sich vor einem Kontrollverlust in der kommenden Stresssituation des Prüfungstages.

Aus Licht und Trug von Dominic Hladek beschreibt ein sonderbares Erlebnis aus dem Leben der Elfe Layariel, die sich allein im Wald wiederfindet, ohne Erinnerung, was sie dorthin geführt haben könnte. Auch als sie einen Verbündeten findet, ändert sich die Lage kaum zum Guten hin, muss sie doch feststellen, dass sie in einer äußert feindseligen Umgebung unterwegs ist und dass dunkle Mächte nach ihrem Leben trachten.

Stolz, Vorurteile und Ferkinas von Thorsten Most setzt gleichermaßen zwei Figuren in den Mittelpunkt, indem der Söldner Geron und die Magierin Mirhiban wechselseitig von ihrer ersten Begegnung erzählen, bei der Geron angeworben wurde, um Mirhiban als Geleitschutz auf einer Expedition zu dienen.

Nur dem Titel nach hat Ein Spaziergang im Park von Eevie Demirtel eine gemütlich-beschauliche Komponente. Die Hexe Rovena kann sich eben nicht dem Lustwandeln in einem Park widmen, sondern muss unter Zeitdruck in der Dämonenbrache eine Pflanze finden, die dringend als Gegenmittel zur Rettung Carolans benötigt wird. Dabei entdeckt sie ein merkwürdiges Anwesen inmitten dieses pervertierten Ortes.

Die Rahmenhandlung wird schließlich in Mein Name sei Calavanti von Josch K. Zahradnik abgeschlossen, indem mehrere Episoden aus dem Lebens Carolans geschildert werden, in denen er mit seinen Gefährten agiert, die dabei stets verspüren, dass er sehr verschlossen mit seiner wahren Identität umgeht.  Gleichermaßen wird hier auch geklärt, wie er den Kerker wieder verlassen kann.

II. Kritik

Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich mit einer eher niedrigen Erwartungshaltung an Kerkergeschichten herangegangen bin. Immerhin stehen hier Figuren im Mittelpunkt, die nicht von den AutorInnen selbst stammen, was es aus meiner Sicht erschweren kann, gute Geschichten zu erzählen, vor allem wenn als Vorlage nur Illustrationen und kleine Textschnipsel existieren. Zudem muss ich zugeben, dass ich zwar die Illustrationen mag und es für eine gute Idee halte, Charaktere mit Wiedererkennungseffekt zu verwenden, ich aber die anderen Auftritte der ikonischen Helden eher anstrengend finde, vor allem wenn ihre O-Töne in den Rüstkammern zur Kommentierung der Ausrüstungsgegenstände genutzt werden, was aus meiner Sicht eher gewollt humorig ausfällt und mehr Platz verbaut als sinnvollen Input produziert. Ein Problem ist für mich dabei das Klischeehafte, das oft zum Ausdruck kommt, z.B. die verbalen Plänkeleien zwischen Arbosch und Layariel. Meist wirken die Figuren dabei eher eindimensional, z.B. in Form von Gerons Großmäuligkeit und Mirhibans intellektueller Arroganz.

In dieser Hinsicht bin ich aber insofern positiv überrascht worden, als dass die Geschichten überwiegend sehr kurzweilig und unterhaltsam sind. Vor allem liegt dies daran, dass die Charaktere zumeist nicht in der festen Gruppierung ihrer Heldengruppe beschrieben werden, sondern meist eine Episode herausgegriffen wird, in der sie allein oder mit anderen Gefährten unterwegs sind. Damit werden sie nicht auf oben genannte Funktionen oder Charakterzüge reduziert. Beispielsweise wird Geron eben nicht nur als starker Krieger mit einem losen Mundwerk gezeigt, sondern als verängstigtes Kind, dem gerade sämtliche heimatliche und familiäre Bezugspunkte entzogen wurden. Arbosch ist nicht der zänkische Zwergen-Handwerker, sondern ein traumatisierter Kämpfer, der erleben muss, wie seine Gefährten nacheinander grauenvollen Wesen zum Opfer fallen.

Nicht alle Episoden sind dabei aus meiner Sicht gleichermaßen gelungen, vor allem Carolans Einstiegsabenteuer wirkt umgekehrt eher klischeehaft mit seinen Erlebnissen als Liebhaber und Fassadenkletterer, der auch in akuter Lebensgefahr mehr den Kitzel der Spannung empfindet, anstatt eigentlich realistischer Furcht. Ähnliches gilt für die gemeinsame Queste von Mirhiban und Geron, die auch eher von gegenseitigen Neckereien geprägt ist als von echter Dramatik, allerdings ist die Umsetzung mit den sich widersprechenden Erzählern gut umgesetzt. Ohnehin ist das etwas uneinheitlich gehalten, die geschilderten Ereignisse haben eine Bandbreite von epischen Schlachten bis hin zu kleinen Gaunereien. Etwas banal aufgelöst wirkt zudem die Rahmengeschichte um Carolan im Gefängnis, was in der letzten Episode nur am Rande aufgegriffen wird, vor allem werden die Mithäftlinge gar nicht mehr thematisiert.

Das deutliche Highlight des Bandes stellt aber für mich Ein Spaziergang im Park dar, gerade auch weil hier die Atmosphäre der Dämonenbrache sehr gut transportiert wird, vor allem in der beklemmenden Begegnung Rowenas mit einer Nekromantin, die in ihrem Herrenhaus in der pervertierten Umgebung ein völlig surreales Dasein fristet und mit den dortigen Zuständen so umgeht, als sei es ein völlig normaler und harmloser Alltag.

Generell gut umgesetzt ist die Darstellung Aventuriens, es werden viele unterschiedliche Orte des Kontinents gezeigt, urbane Szenen wechseln sich mit Abenteuern in der Wildnis ab, die Figuren stammen aus verschiedenen Kulturkreisen und verkörpern diverse Professionen. Mit dem Jahr des Feuers und dem Orkensturm werden auch einige historische Ereignisse aufgenommen. Diese Vielfalt ergibt in einem Band, der sicherlich auch an Einsteiger gerichtet ist, vollkommen Sinn, um einen ersten Einblick in die Spielwelt zu bekommen. Für DSA-Kenner sind zudem auch viele Aspekte mit Wiedererkennungseffekt eingebaut, sei es von Begegnungen mit prominenten Personen wie Manach ter Goom oder Aedin zu Naris bis zu Cameo-Auftritten der Gardisten Deniz und Kasim, der Protagonisten der Romanreihe Khunchomer Pfeffer.

III. Fazit

Kerkergeschichten stellt eine unterhaltsame Kurzgeschichtensammlung dar, in der die ikonischen Helden einige Facetten erhalten, die deutlich vielschichtiger sind als bei ihrer sonstigen Verwendung. Nicht alle Geschichten trennen sich von einer klischeegeprägten Charakterzeichnung, aber gerade die eher tragischen Momente halte ich für gelungen umgesetzt. Für Einsteiger wird zudem ein interessanter Ausschnitt von Aventurien gezeigt.

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