Rezension: Reich der Toten

Vorbemerkung: Ein Jahr lang konnte man mit den drei Castesier-Geschwistern Lucia, Sabella und Valerius mitfiebern, nun setzt der sechste und letzte Band aus der Feder von Daniel Jödemann mit dem Titel Reich der Toten den Schlusspunkt. Die gesamte Reihe möchte ich in den kommenden Tagen in einem Extraartikel Revue passieren lassen, hier soll nun der Abschlussband für sich im Fokus liegen, vor allem natürlich unter der Fragestellung, ob es hier gelingt, alle Plotfäden zu einem befriedigenden Ende zusammenzuführen.

In Zahlen:

– 356 Seiten

– Preis: 14,95 Euro

– erschienen am 27.4. 2020

I. Aufbau und Inhalt

Der Band stellt im Bereich der Erzählperspektive insofern eine Besonderheit im Vergleich zu den Vorläufern dar, als dass nur die erste Hälfte wie gewohnt abwechselnd aus der Sicht einer der drei Perspektivfiguren verfasst ist. Dann folgen viele Kapitel, in denen mindestens zwei oder teilweise sogar alle drei Geschwister vereint sind und somit der Erlebnishorizont und der Schauplatz für alle identisch sind.

Zunächst werden allerdings die Einzelplots abgeschlossen. Lucia steht vor dem entscheidenden Kampf in der Arena Bosparans, in dem es um den Titel des Primus von Bosparan geht. Dazu treten nur noch die besten Gladiatoren der einzelnen Schulen gegeneinander an, wobei als Favorit der derzeitige Primus mit dem vielsagenden Kampfnamen Cyclop gilt.

Valerius steht nach dem Cliffhanger des vorherigen Romans kurz davor, die Identität des sogenannten Procurators zu enthüllen, dem gemeinsamen Oberhaupt der Unterweltbanden Bosparans, dem mitunter mehr Machtfülle als dem Horas selbst nachgesagt wird. Somit steht er auch vor der entscheidenden Frage, wie es sich hier positionieren will, als Gefolgsmann oder Herausforderer. Dabei stellt die Demaskierung eine große Überraschung dar, sowohl für Valerius als auch den Leser.

Sabella hingegen ist durch ihre Bindung an Glaciana in die große Politik Bosparans verwickelt. Somit wird sie Zeugin, wie sich der Konflikt zwischen Cassus und Yarum entwickelt, in dem es um nichts Geringeres als die Herrscherkrone selbst geht. Ausgetragen wird dies auf dem Schlachtfeld, auf dem die Heere beider Kontrahenten aufeinandertreffen. Dabei steht die Befürchtung im Vordergrund, dass der scheinbar unsterbliche Cassus auf verborgene Mächte zurückgreifen kann.

Mit dem Abschluss dieser Einzelepisoden verbunden sind aber zusätzlich die gemeinsame Problematik der überlebenden Castesier, stehen doch noch einige alte Mysterien im Raum (vor allem der Grund für die Ächtung der Familie) sowie die akute Bedrohung durch die dämonische Präsenz, die allen bewusst ist. Dies mündet in ein Finale, in dem letztlich weit mehr das Schicksal der Castesier auf dem Spiel steht, sondern das der gesamten Stadt. Dazu müssen Lucia, Valerius und Sabella all das in die Waagschale werfen, was sie seit Beginn der Romanreihe erworben haben, was sowohl ihre Fähigkeiten, Ressourcen und Beziehungen angeht.

II. Figuren

Hier stehen natürlich nach wie vor die Geschwister Lucia, Valerius und Sabella im Vordergrund, die allesamt am Ende einer langen Entwicklung stehen und sich eine hohe Reputation erworben haben. Valerius als anerkannter Anführer einer klug agierenden Unterweltbande, Lucia als umjubelte Gladiatorin, die sich mit den Besten ihrer Zunft messen kann und Sabella, die als mächtige Nekromantin mittlerweile mit Personen im Machtzentrum Bosparans verkehrt.

Daneben wird in diesem Abschlussband auf alle Figuren zurückgegriffen, die im Umfeld der drei Hauptfiguren eine Rolle spielen. Das sind zum einen die überaus kopfstarke Bande von Valerius um seine Führungskräfte Rufus und Bruttia, die Mitgladiatoren von Lucia und ihre Besitzerin Felicita und die Staatsspitze um Glaciana, in deren Mitte sich Sabella bewegt. Als Antagonist steht der unheimliche Cassus mit seinem Heer vor Bosparan und sucht die Entscheidung im Kampf um den Adlerthron. Dabei steht er mit den Mächten im Bunde, die auch die Castesier beeinflussen.

III. Kritik

Der Abschluss einer Romanreihe ist sicherlich keine einfache Aufgabe, besonders wenn viele Einzelplotfäden zusammengefügt werden müssen und wenn – wie im vorliegenden Fall – die Figurenriege stetig angewachsen ist. Als Leser hat man bestimmte Erwartungen, die sicherlich nicht in jedem Fall erfüllt werden können. Zudem muss die Gesamtgeschichte zu einem runden Ende geführt werden, hier das Schicksal der Castesier betreffend.

Im Ganzen handelt es sich meiner Auffassung nach wieder um einen spannenden Roman, der besonders in Sachen Dramatik noch einmal viel Dynamik einbringt, sowohl in den Einzelschicksalen der Geschwister als auch im abschließenden Finale. Daniel Jödemann hat viele epische Momente eingearbeitet, sei es Lucias Ringen um den entscheidenden Sieg in der Arena, die Schlacht nahe bei Bosparan, in der die beiden großen Heere aufeinandertreffen oder zuletzt der Showdown tief unter der Stadt, bei der fast alle bis dahin noch lebenden Figuren sich zusammenschließen, um Bosparan zu retten. Dabei werden anschauliche sprachliche Bilder entwickelt, die eine sehr dichte Atmosphäre erzeugen. Passend zu der ambivalenten Figurenzeichnung, die bis zuletzt konstant bleibt, wandelt sich keiner der Charaktere in einen strahlenden Helden/eine strahlende Heldin. Gerade Sabella ist bis zum Schluss für den Leser undurchsichtig, vor allem in der Frage, ob sie sich ihren Geschwistern gegenüber loyal zeigen wird oder diesen in den Rücken fallen soll. Dementsprechend passend ist es auch, dass der gewählte Ausgang sich dem Rahmen eines klassischen Happy Ends entzieht, allerdings auf eine durchaus originelle Weise. Sowohl Lucia, als auch Sabella und Valerius erhalten ein Schicksal, das für das Wesen der jeweiligen Figur angemessen erscheint.

Im einigen Details stellt mich der Band aber nicht vollends zufrieden. Gerade der bis dahin sehr gut entwickelte Handlungsstrang um Valerius und die Suche nach dem Prokurator, der ja im Zentrum des großen Cliffhangers am Ende von Blutsbande stand, wird zwar in Form einer völligen Überraschung aufgelöst, dürfte viele Leser aber etwas enttäuschen. Bei Lucia ist die Aneinanderreihung von Gladiatorenkämpfen, die sich nun seit mehreren Bänden hinzieht, zwar nach wie vor immer eine Erzeugung von Spannungsmomenten, die sich aber zunehmend abnutzen, da die Überraschungsmomente verloren gehen, weil der Ausgang vorhersehbar ist. Höhepunkt ist hier sicherlich der Handlungsstrang von Sabella, die alte Familiengeheimnisse aufdeckt und sich unverhofft inmitten der Entscheidungsschlacht zwischen den Heeren von Cassus und Yarum wiederfindet.

Stellenweise hat man zudem das Gefühl, dass dieser Band möglicherweise eine gewisse Seitenerweiterung hätte vertragen können, manche Einzelbestandteile werden etwas holprig bzw. plötzlich aufgelöst. So wird – etwas unerwartet – das Schicksal von Capitus, dem Vater der drei Geschwister thematisiert, was sich für mich etwas unmotiviert ergibt, hier hätte eine entsprechende Vorbereitung in den vorherigen Bänden, also der Einbau von einigen Andeutungen, deutlich mehr Sinn ergeben. Gleiches gilt für die Einbindung des Kults des Namenlosen (schon in Blutsbande eingeführt), auch hier wirkt es insofern etwas merkwürdig, weil es sich hierbei auch nur um eine Zwischenetappe handelt, die mit dem eigentlichen Finale wenig zu tun hat. Auf der Figurenebene wird zudem das Schicksal einiger Figuren fast schon nebensächlich abgehandelt, vor allem Flavius hat einen Abgang, den ich mir ausführlicher geschildert gewünscht hätte.

Seine besondere Note erhält der Roman zusätzlich noch durch den angesprochenen Umstand, dass in der zweiten Hälfte erstmals ein gemeinsames Handeln der Geschwister stattfindet. Überraschenderweise wurde dabei auf die großen Emotionen verzichtet (gerade bei dem Erkennen von Lucia und Valerius wird dieser eigentlich angedachte herzergreifende Moment bewusst konterkarikiert), was ich im Kontext des Umfelds der Dunklen Zeiten aber grundsätzlich als gelungene Umsetzung betrachte: Die Geschwister verbindet letztlich nicht viel mehr als ein gemeinsames Schicksal, sonst sind da im Regelfall nur ein paar vage Erinnerungen, die eigentlichen Familien von Lucia und Valerius sind diejenigen, die sich im Verlauf der Romane als ihr Umfeld ergeben haben, die emotionsarme Sabella ist zuletzt ohnehin ein Charakter, der ungerne gefühlsmäßige Bindungen zulässt. Ohnehin erhält man im Kontext des Sittengemäldes dieser Epoche, das ja auch gezeichnet wird, den Eindruck, dass Familienbande in erster Linie geschäftsmäßige Verbindungen sind. Das trifft so grundsätzlich zwar auf die drei überlebenden Castesier in dieser Form nicht zu, trotzdem bleibt eine gewisse Distanz im Vergleich zu den länger entwickelten Bindungen zu ihrem sonstigen Umfeld immer verspürbar.

IV. Fazit

Reich der Toten ist ein grundsätzlich gelungener Abschluss der Romanreihe, vor allem durch viele epische Erzählmomente, in denen die Figurenentwicklung bis zum Ende konsequent vollzogen wird, gerade die drei Protagonisten betreffend. Die Einzelstränge sind wiederum aus meiner Sicht unterschiedlich überzeugend ausgefallen, vor allem was Valerius Begegnung mit dem Anführer der Unterweltbanden Bosparans angeht. Einige Handlungselemente hätten zudem etwas mehr Ausführlichkeit vertragen können.

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