Rezension: Cthulhu-Vademecum

Vorbemerkung: Den Cthulhu-Mythos nach Aventurien zu bringen, stellt sicherlich eine große Herausforderung dar, handelt es sich ja grundsätzlich um Material, das nicht für diese Fantasy-Welt angedacht ist. Das Cthulhu-Vademecum von David Lukaßen gehört zu denjenigen Bänden des Crowdfundings, die originär als Bindeglieder verfasst wurden und die die Brücken schlagen sollen, also den aventurischen Hintergrund als Basis nehmen sollen und dort Elemente von Cthulhu einführen sollen. Pate steht hier die Vademecum-Reihe, in der Mitglieder der jeweiligen Glaubensgemeinschaft die Grundsätze der jeweiligen Ausprägungen des Glaubens näherbringen sollen, wozu sowohl die Glaubensgemeinschaft als auch typische Verhaltensweisen und Riten beschrieben werden.

In Zahlen:

– 160 Seiten

– Preis: 14,95 Euro

– Erschienen am 14.6. 2020

I. Aufbau und Inhalt

Wie bei den Vademeci gewohnt handelt es sich um die fiktiven Aufzeichnungen eines Mitglieds der Glaubensgemeinschaft, wobei die Identität hier (im Ingame-Teil) unklar bleibt, wird doch schon zu Beginn verdeutlicht, dass es sich (aus Verfassersicht) um verbotenes Wissen handelt, für das man von der Obrigkeit verfolgt wird, auch weil die tradierte Sicht auf die aventurischen Götter negiert wird. Nach einer kurzen Einleitung wird im Kapitel Von ihren großen Lügen die Mythologie der aventurischen Götterwelt umgedeutet, indem bestehende Grundlagen (z.B. der Konflikt zwischen Sumu und Los) zwar bestätigt werden, allerdings Cthulhu als im Hintergrund Tätiger eingefügt wird, wobei den Zwölfen die Rolle der anfänglichen Diener von Los zugewiesen wird, der wiederum als Inkarnation des Namenlosen betrachtet wird und bemerkenswerter Weise als wichtigster Gegenspieler gesehen wird. Cthulhu wird somit eine 8. Sphäre zugewiesen, wobei das bekannte Sphärenmodell negiert wird. Als Belege werden immer wieder vage gehaltene Quellen angefügt.

Folgend wird in Die Welt zwischen den Welten die Domäne Cthulhus skizziert, wobei vor allem die Traumlande relevant sind. Vor allem wird darauf eingegangen, welche Wege der Gläubige dorthin finden kann, wozu zum einen Weg des Traums an sich genannt wird, zusätzlich aber auch auf Pforten verwiesen wird, durch die man auch physisch dorthin gelangen kann, sowie auf Feenwelten. Klar wird dabei auch der Anspruch der Stärke formuliert, so dass darauf verwiesen wird, dass standhafte Anhänger nichts zu befürchten haben und nur die Schwachen Wahnsinn und Tod anheimfallen.

Anschließend wird auf die Traumlande selbst eingegangen und welche Offenbarungen sich dem Verfasser dort erschlossen haben. Relativ eindeutig wird diese Beeinflussung dadurch dargestellt, dass von Cthulhu immer in Großbuchstaben die Rede ist (z.B. „da kamen SEINE Diener an diesen Ort“). Ganz konkret geschieht dies im Rahmen einer Expedition zu den Waldmenschen, die näher beschrieben wird und in dessen Verlauf es gelingt, eine der Pforten zu öffnen. Immer wieder wird dabei auch betont, dass nicht jeder – auch die Begleiter des Verfassers – den Eindrücken nicht gewachsen ist.

Nunmehr als Erleuchteter berichtet er von den Wesen Cthulhus, wobei dessen Allmacht immer wieder unterstrichen wird. Hier wird nun auch der Versuch unternommen, die aventurische Mythologie mit dem Mythos in Einklang zu bringen, in dem vermeintliche Widersprüche erläutert werden, wobei unter anderem auf die die Prophezeiung des Allvogels des Lichts eingegangen wird.

Im Kapitel Von den Anderen jenseits des Bekannten werden weitere Wesen des Cthulhu-Mythos vorgestellt, Auch diese werden mit ihren Hintergründen jeweils in aventurische Gegebenheiten integriert, also mit der dortigen Mythologie verbunden. Mit Yog-Sothoth, Bast, Hypnos und Nodens werden aber auch die Gegner thematisiert. Daneben wird auch auf die Völker eingegangen, die diesen Wesenheiten folgen und die ebenfalls in den Traumlanden leben. Auch hier handelt es sich aber zum Teil wieder um Verknüpfungen mit den Völkern Aventuriens, so wird die Existenz der Elfen beispielsweise auf das Wirken von Bast zurückgeführt.

Sehr konkret auf Aventurien bezieht sich das Kapitel Andere Wissende. Hier werden Personen erwähnt, die einige Geheimnisse Cthulhus ergründet haben, ihr Wissen aber – aus Sicht des Verfassers – nicht durch ein Erkennen der wahren Macht im Hintergrund perfektioniert haben und sich ihm nicht angeschlossen haben. Deswegen werden sie in letzter Konsequenz trotzdem als „unwissend“ bezeichnet. Zu diesem Personenkreis gehören unter anderem Rakorium Muntagonus, Xaron Mendurian von Punin, Shabob sal Dilhaban und Cellyana von Khunchom. Deutlich mehr Erkenntnisse haben andere Gruppen wie die sogenannten Träumenden oder eine Gruppe aus Selem, die sich Erben Donna Alyenas nennt und eine Loge mit dem Namen Zirkel der Güldenländischen Hermetik zu Grangor. Eng damit verbunden sind auch die Quellen des Wissens, wobei mehrheitlich auf schwer erhaltbare Folianten verwiesen wird.

Eher sparsam wird mit Gebeten und Riten umgegangen, da an diesem Punkt vor allem darauf verwiesen wird, dass die eigene Stärke der Weg zum Ziel ist und Gebete eher von Schwachen verwendet werden. Im Bereich der großen Riten wird vor allem auf die Notwendigkeit verwiesen, dass Cthulhu Blutopfer verlangt. Ebenso wird über die Gaben gesprochen, die ein Erleuchteter erhalten kann, wobei hier auch auf magische Fähigkeiten verwiesen wird, die aber gänzlich anders zu verstehen sind als herkömmliche Magie, die ja im Regelfall einer Thesis folgt.

Zuletzt wird auch klar das Feindbild der bekannten Götter Aventuriens herbeibeschworen, wobei dies schon durch die Beschreibung Von den neidischen Göttern und ihren Dienern deutlich wird. Unterstrichen wird dabei nachdrücklich die Gefahr, die von den Anhängern des Namenlosen ausgeht. Verbunden wird dies auch mit einem Bezug zum Sternenfall, der hier als Zeichen der kommenden Macht Cthulhus gedeutet wird.

Das dreizehnte und letzte Kapitel Der Kult von Drol wechselt die Perspektive, indem hier kein Ingame-Text vorliegt, sondern die Hintergründe des Vademecums in Form einer kurzen Spielhilfe erläutert werden. Dazu wird die Lebensgeschichte des Verfassers Yumin von Harderin angerissen (die zum Teil auch im Vademecum selbst eine Rolle spielt), aber auch andere Anhänger Cthuhus werden vorgestellt, die sich unter Yumins Führung zu einem Zirkel zusammengeschlossen haben. Dazu werden Ideen präsentiert, wie man den Zirkel in eigene Abenteuer integrieren kann.

II. Kritik

Die Vademeci halte ich in ihrer Gesamtheit für eine qualitativ gute Reihe, auch weil sie es geschafft haben, die für mich oft sehr theoretischen Geweihtenkonzepte mit mehr Leben zu füllen bzw. bei dem einen oder anderen Typus die notwendigen Anregungen geschaffen haben, wie man in ihren Prinzipien oft sehr unflexible Figuren in eine Heldengruppe integrieren könnte.

Das vorliegende Cthulhu-Vademecum fällt in dieser Hinsicht natürlich etwas aus dem Rahmen, soll es doch gleich zwei Aufgaben gleichzeitig erfüllen: Einerseits sollen die Denkstrukturen eines Anhängers Cthulhus beispielhaft offengelegt werden, anderseits soll auch dieser Band dazu beitragen, den Mythos mit Ansatzpunkten in Aventurien zu verbinden, hier natürlich mit dem Schwerpunkt der religiösen Verbindungen.

Der Eindruck, den der Verfasser beim Leser hinterlässt, ist geschickt zwiespältig konstruiert: Natürlich springt einen das Wahnhafte in den Aussagen Yumins immer wieder förmlich an, man verspürt, dass dessen Denken sich sehr auf die kultische Erhebung Cthulhus fokussiert. Einschränkend muss hier gesagt werden, dass dies einerseits eine gewisse Faszination mit sich bringt, sich allerdings ab einem bestimmten Punkt Abnutzungserscheinungen einstellen und entsprechende Textstellen, in denen Cthulhus Allmacht angepriesen wird, redundant wirken.

Dies ist ein schwieriger Spagat, einerseits den Wahnsinn darstellen zu müssen und andererseits den Platz nicht mit ständigen Wiederholungen zu füllen, was nicht immer gelingt. Umgekehrt verfügen Yumins Ausführungen an vielen Stellen auch über eine erkennbare Klarheit, in denen seine Besessenheit weniger ein Zeichen von Schwäche darzustellen scheint, sondern Stärke und Entschlossenheit demonstriert wird.

Was die generelle Leserlichkeit zusätzlich etwas stört, ist das stellenweise offenbar zu oberflächlich ausgefallene Lektorat/Korrektorat. Hier sind immer wieder unnötige Fehler erkennbar, die einzeln nicht störend wären, hier ist die Häufung aber auffällig. Das geht so weit, dass an einer Stelle sogar Korrekturanmerkungen in die Endfassung übernommen wurden.

Sehr gelungen finde ich hier die Anbindung des Mythos in die aventurische Mythologie. Yumin gibt sich als eine Art von Verschwörungstheoretiker, der jede Menge Umdeutungen aventurischer Begebenheiten (z.B. die Existenz von Los, die Aktivitäten des Namenlosen, den Sternenfall) umdeutet und somit eine plausible Erklärung liefert, warum Cthulhu eigentlich schon immer auch ein Teil von Aventurien gewesen sein könnte, dies aber von all denen, die die Aspekte anders deuten als Yumin (eben den „Unwissenden“), nicht wahrgenommen werden kann. Gerade indem diese Widersprüche angesprochen werden, gelingt im Gegenteil die Verbindung gut.

Stilistisch liest sich dieses Vademecum anders als seine Vorgänger. Zum einen liegt das an seinem narrativen Handlungsfortschritt, indem fast chronologisch die Geschichte von Yumins Erkenntnissuche geschildert wird und somit die Kapitel stark aufeinander aufbauen, anstatt wie in den Vorgängern die Kapitel thematisch stärker voneinander zu trennen, so dass sie eher segmenthaft wirken. Zudem ist der letzte Teil wirklich als reine Spielhilfe gehalten. Das stellt zwar in der Erzählform einen gewissen Bruch dar, ist aus meiner Sicht in diesem Fall aber sinnvoll angesetzt, da hier die notwendigen Erläuterungen geliefert werden, um einige der teils kryptischen Andeutungen Yumins zu erläutern. Zudem bietet sich somit auch viel Abenteuerstoff, da man auf diese Weise die Inhalte adaptieren kann und der beschriebene Kult in den Mittelpunkt einer Spielhandlung gesetzt werden kann. Nicht zuletzt erhält man so einen Antagonisten mit einem extrem ausführlich gestalteten persönlichen Hintergrund.

III. Fazit

Das Cthulhu-Vademecum bietet einen interessanten Einblick in die Denkweise eines Cthulhu-Anhängers. Der Wahnsinn wird sehr anschaulich beschrieben, wodurch sich stellenweise aber auch redundante Passagen ergeben. Gut gelingt die Verbindung von aventurischen religiösen Vorstellungen mit dem Mythos, indem sich oft Anknüpfungspunkte ergeben, die der fiktive Verfasser in seiner eigenen Logik erläutert. Die Spielhilfe am Ende gewährt zusätzlich die Möglichkeit, das Vademecum zu einer Abenteuerhandlung auszubauen.

2 Kommentare

  1. Lieber Engor, vielen Dank für die Rezension und die Zeit die Du Dir dafür immer nimmst. Als Autor finde ich Deine Rezensionen immer hilfreich, um die eigene Arbeit noch einmal kritisch zu betrachten, wie auch in diesem Fall wieder. Danke und schönen Gruß, David

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