Rezension: Unheilvolles Grauen

Vorbemerkung: Ein Setting benötigt, um lebendig werden zu können, vor allem eines: Abenteuer. Das gilt natürlich auch für einen umfangreichen Settingband wie DSA-Mythos. Zu diesem Zweck wurde ja mit Schweigen aus Somerrisk zusätzlich ein Abenteuerband übersetzt, dem man aus meiner Sicht aber sehr stark anmerkt, dass er nicht an Aventurien angebunden ist, sondern es sich vornehmlich um ein Cthulhu-Abenteuer handelt, das ausschließlich in den Traumlanden spielt. Anders sieht es mit dem zweiten Abenteuerband aus dem Mythos-Crowdfunding aus: Unheilvolles Grauen ist eine Abenteueranthologie, bestehend aus drei Abenteuern, die allesamt gezielt für die DSA-Variante des Cthulhu-Mythos geschrieben wurden. Eine Besonderheit stellt dabei der Umstand dar, dass es sich um ein Gruppenabenteuer und gleich zwei Soloabenteuer handelt.

In Zahlen:

– 3 Abenteuer (ein Gruppenabenteuer, 2 Soloabenteuer)

– 56 Seiten

– Preis: 14,95 Euro

– erschienen am 14.6. 2020

I. Aufbau und Inhalt

Das Fieber, das über Selem kam

Das Abenteuer von Dominic Hladek stellt das einzige Gruppenabenteuer der Anthologie dar. Als Schauplatz wurde dabei Selem gewählt, der Ort, der in Aventurien wie kein anderer mit Wahnsinn und seelischen Abgründen verbunden ist. Und tatsächlich liegt auch dieses Mal das Problem in wahnhaften Zuständen. Nachdem auch für die lokalen Verhältnisse überproportional viele Fälle plötzlichen Wahnsinns auftauchen, beauftragt die Noionitin Noiorelia die Helden, der Sache auf den Grund zu gehen, immerhin liegt die Fallzahl beinahe in den Dimensionen einer Seuche, wobei vor allem Alpträume vorherrschen. Relativ schnell zeigt sich, dass dies auch mit Gewaltexessen verbunden ist, was die Dringlichkeit einer schnellen Lösung des Rätsels nahelegt. Da sich somit zunächst ein gewisser Rechercheanteil ergibt, liegt eine kurze Stadtbeschreibung Selems mitsamt Karte vor, zudem werden die wichtigsten Anlaufstellen und Personen aufgeführt. Alsbald wird dabei deutlich, dass sich in Selem der Einfluss fremdartiger Wesen ausbreitet, die bislang wenig wahrgenommen wurden.

Ist die Recherche erfolgreich abgeschlossen, wird das Finale eingeleitet, wobei sich herauskristallisiert, dass die Heldengruppe relativ umfangreich an vielen Orten in der Stadt tätig sein muss, was allerdings durch eine dramatische Zuspitzung der Ereignisse erschwert wird. Dabei wird jeweils auf die unterschiedlichen Möglichkeiten eingegangen, die existieren, um das Treiben ihrer Gegner zu beenden. Dabei handelt es sich um kein einfaches Unterfangen, immerhin erreichen die Ereignisse eine Tragweite, die das Schicksal der gesamten Stadt und ihrer Bevölkerung betrifft.

Letzter Vorhang für Vinsalt

Das Soloabenteuer von Mhaire Stritter setzt eine Streunerin in den Mittelpunkt, die aufgrund eines erfolgreichen Diebeszuges untertauchen muss. In dieser Situation kommt ihr gerade recht, dass eine Theatergruppe just in diesem Moment eine Darstellerin für eine kleine Rolle sucht. Allerdings erweist sich die Idee im weiteren Verlauf als ausgesprochen verhängnisvoll, verlaufen die Proben zum neuen Stück Der König in Gelb doch extrem ereignisreich, schon am ersten Tag nach der Anwerbung gibt es einen ersten Todesfall. Somit ergibt sich ein ungewöhnliches Abenteuer, indem parallel zu den Proben vorsichtig Ermittlungen aufgenommen werden, wobei alles auf ein Finale bei der Premiere des Stücks hinausläuft. Auffällig ist vor allem, dass sich im Umfeld der Theatergruppe merkwürdige Vorfälle und irrationales Verhalten häufen. Die Rolle einer Schauspielerin wird zusätzlich dadurch betont, dass bestimmte Textpassagen von Relevanz sind, die man für das Theaterstück als Rollentext erhält. Im Anhang finden sich eine Kurzbeschreibung der Spielfigur und deren Werte.

Was der Nebel verbirgt

Einen extremen Kontrast zur Großstadt Vinsalt und dem dortigen Kulturbetrieb bietet das zweite Soloabenteuer aus der Feder von Sebastian Thurau, führt es doch in die tiefste Provinz, genauer gesagt in die nostrische Küstenregion in den kleinen Ort Marwehn (wobei nicht ganz deutlich ist, ob dies wirklich der Name der Ortschaft ist). Passend dazu handelt es sich auch um eine bodenständigere Spielfigur, um einen Seemann mittleren Alters, der heikle Aufträge für die Efferdkirche erfüllt. Anlass für dessen Reise ist der Abbruch jeglichen Kontaktes zur lokalen Efferdgeweihten. Vor Ort stößt er allerdings auf eine Mauer des Schweigens, die Menschen im Ort verhalten sich entweder offen feindselig oder im besten Fall ausweichend. Auch hier stellt sich schnell heraus, dass dunkle Umtriebe vonstattengehen, wie der Protagonist bei seinen Recherchen in Erfahrung bringt. Vor allem ergibt sich der Eindruck, dass jeder Ermittlungsschritt näher an eine tödliche Gefahr heranführt. Eine Besonderheit ist hier auch, dass es eine ganze Reihe von unterschiedlichen Auflösungen gibt, je nachdem, wie intensiv man nachforscht. Auch hier existiert ein Anhang mit den Werten des Seemanns.

II. Kritik

Zunächst bleibt sicherlich der Eindruck vordergründig, dass es sich mit zwei Solo- und nur einem Gruppenabenteuer um eine sehr ungewöhnliche Mischung handelt, wie sie bisher tatsächlich noch nie publiziert wurde.

Das Fieber, das über Selem kam weist dabei mit Selem den sicherlich passendsten Abenteuerschauplatz für ein Cthulhu-geprägtes Szenario auf, den man sich in Aventurien denken kann. Die als heruntergekommener Sündenpfuhl kreierte Stadt bietet den geeigneten Hintergrund für die Konfrontation mit (un-)menschlichen Abgründen, zumal das Geschehen auch leicht apokalyptische Züge trägt, wenn eine mächtige Mythos-Kreatur angerufen werden soll. Gerade im Rechercheteil wird dies auch mit einer passenden Atmosphäre kombiniert, vor wenn die Heldengruppe in der Silem-Horas-Bibliothek auf ihrer Informationssuche mit Geistern und alten Legenden in Kontakt gerät.

Umgekehrt setzt hier ein Kritikpunkt an, den ich auch schon bei Schweigen aus Somerisk angebracht habe: Die Ausarbeitung der finalen Konfrontation gerät für meinen Geschmack viel zu oberflächlich. Beispielsweise gilt es das abschließende Ritual an sieben verschiedenen Orten in der Stadt zu stoppen, wobei jeder dieser Anlaufpunkte nur in wenigen Zeilen beschrieben wird. Dies bedingt einerseits viel Arbeit für die SpielleiterInnen, andererseits kann ein derart aufgesplittetes Finale auch irgendwann eher ermüdend wirken.

Auf der Figurenebene ist zudem auffällig, dass es zwar zum Teil wirklich gut und interessant beschriebene Figuren gibt, dies gilt vor allem für die Bibliothek, in der man auf gleich mehrere skurrile NSC stößt, die auch in ein derartiges Horrorszenario gut passen. Ebenso gibt es eine Liste mit exemplarischen Figuren, die beispielhaft die Wahnvorstellungen der Bewohner Selems aufzeigen können. Umgekehrt fehlt mir hier auf der Antagonistenebene eine greifbare Nemesis. Diese existiert zwar hintergründig über die Mythos-Kreatur, die eigentlich die Fäden in der Hand hat, im Idealfall bleibt aber eine direkte Konfrontation ja aus, wenn man die Pläne der gegnerischen Kultisten stört. Aus dieser Gruppe hätte ich mir einige ausgewählte NSC gewünscht, mit denen die Bedrohung auch ein konkretes Gesicht erhält. Dabei wären ja durchaus auch tragische Konstellationen denkbar gewesen, z.B. in Form ihrer Auftraggeberin, die selbst dem Wahnsinn anheimfällt. Statt sie aus der Handlung herauszunehmen, wäre sie in dieser Funktion aus meiner Sicht sogar deutlich besser eingesetzt.

Die Konstruktion mit gleich zwei Soloabenteuern ist sicherlich nicht für alle praktisch, sind doch Gruppenabenteuer seit jeher gefragter als ihre Solovarianten. Da es sich aus meiner Sicht um eine oft sträflich vernachlässige Abenteuerspezies handelt, bin ich darüber natürlich prinzipiell erfreut, sehe aber durchaus auch den Nachteil, dass das eine etwas unausgewogene Mischung darstellt. Trotzdem soll das die Qualität der Einzelabenteuer aber nicht schmälern.

Was ich grundsätzlich positiv bewerte ist der starke Kontrast zwischen den Abenteuern, beide erzeugen bei den SpielerInnen ein gänzlich anderes Gefühl: Gemeinsam ist zwar wiederum das Thema einer anfangs latenten, dann immer offenkundiger werdenden Bedrohung. Bei Letzter Vorhang für Vinsalt allerdings befindet man sich passend zum urbanen Hintergrund inmitten einer Reihe von Figuren, mit denen man während der Ermittlung interagiert. Die Theaterkulisse verleiht dem Geschehen zudem etwas künstlich-surreales, wenn man sich trotz der Morde auf seine Rolle vorbereitet, die Figuren sich zudem sehr irrational verhalten. In Was der Nebel verbirgt ist der Ermittler hingegen mit einer Mauer des Schweigens konfrontiert, bis auf wenige kurze Begegnungen mit wohlmeinenden Figuren völlig isoliert und nimmt eher die Rolle eines distanzierten Beobachters ein.

Beide Abenteuer setzen ihr jeweiliges Thema aus meiner Sicht passend um, dabei wird die Cthulhu-Thematik getroffen, in beiden Fällen ist schnell klar, dass man mit einer unheilvollen Macht konfrontiert ist und die Gefahr, im Laufe der Geschehnisse Verstand und/oder Leben zu verlieren, ist relativ groß. Trotzdem wirken die Abenteuer nicht starr, es gibt jeweils mehrere unterschiedliche Enden, wobei Was der Nebel verbirgt noch einen Funken konsequenter gestaltet ist, da selbst das Überleben einen unbefriedigenden Aspekt beinhaltet. Dafür bindet Letzter Vorhang für Vinsalt den Rechercheaspekt und die Theatersituation sehr geschickt ein, so dass sich gute Recherche auszahlt.

Umgekehrt merkt man beiden Abenteuern auch an, dass eine vergleichsweise sehr geringe Seitenzahl zur Verfügung gestanden hat. Somit ist die Story jeweils recht gradlinig ausgefallen. Es gibt zwar jeweils einen Abschnitt, an dem man viele Rechercheoptionen zu Verfügung hat, dies bleibt aber singulär, abseits davon sind nicht viele Variablen möglich, lediglich die verschiedenen Enden sorgen noch für weitere größere Verzeigungen. Somit entfallen denkbare Subplots und man wird relativ schnell in Richtung des Finales manövriert. Trotzdem muss positiv erwähnt werden, dass man (anders zum Beispiel als im Solo-Heldenwerk Madas blaue Augen) durchaus Einflussmöglichkeiten hat, die bis hin zum Schicksal der Spielfigur gehen.

Was die Spielfigur angeht, so ist auch hier der Kontrast eine angenehme Abwechslung: Die lebenslustige Streunerin, die eigentlich eine gute Tarnung sucht, passt gut in das Vinsalt-Abenteuer. Allerdings sind nicht alle ihre Handlungen immer rational nachvollziehbar bzw. erscheinen motiviert, vor allem was die Beziehung zur Hauptdarstellerin angeht. Der Protagonist in Was der Nebel verbirgt bleibt bis auf seine Vorgeschichte deutlich weniger greifbar, was allerdings wiederum die unpersönliche Schilderung der dörflichen Atmosphäre unterstützt, indem ihm ja menschliche Kontakte weitgehend verwehrt bleiben.

Gerade bei den beiden Soloabenteuern bleibt aber auch meine Kernkritik bestätigt: Beide Abenteuer sind mir im Kern viel zu pessimistisch angelegt, ein Scheitern ist wahrscheinlicher als ein Erfolg im Sinne der eigentlichen Aufgabe, im Fall von Was der Nebel verbirgt ist ein Gelingen im befriedigenden Umfang sogar unmöglich. Das passt für mich einfach nicht in mein Verständnis von DSA und erzeugt somit auch eine Spielatmosphäre, die zwar technisch gut gemacht ist, in der aber für mich auch viel Spielspaß auf der Strecke bleibt. Sprich: Aus meiner Sicht muss ein gutes Cthulhu-Abenteuer nicht zwangsläufig auch ein gutes DSA-Abenteuer sein. Unter anderem fehlt mir, gerade bei den Soloabenteuern, auch Humor oder ein wenig Augenzwinkern, stattdessen ist alles eher bleischwer. Auch solche Abenteuer sind natürlich legitim, in der Ballung des Gesamtpakets fehlt das aber deutlich.

III. Fazit

Unheilvolles Grauen hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Das Gruppenabenteuer Das Fieber, das über Selem kam hat eine gute Grundidee, ist aber in der Ausführung viel zu kurz geraten, um der Tragweite der Geschehnisse gerecht zu werden. Die Soloabenteuer leiden ebenfalls etwas unter der Kürze, sind aber gut und atmosphärisch gemacht, allerdings passt der pessimistische Tenor letztlich nicht zu DSA.

Bewertung: 3 von 6 Punkten

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