Der Cthulhu-Mythos für DSA – ein Gesamtfazit

Vorbemerkung: In den letzten Wochen hatte der Dereblick inhaltlich ein eher düsteres Antlitz – verursacht durch die Vielzahl an Artikeln zum Crossover von Cthulhu und DSA. Bedingt durch die Crowdfundingstrategie von Ulisses, bei der eben immer viele Artikel auf einmal erscheinen, bleibt es dann relativ monothematisch. Nach der Rezension des Cthulhu-Compendiums bin ich allerdings am Ende des Reigens angekommen und dieser Artikel soll nun einen Abschluss bilden, indem ich mich an einem Gesamtfazit versuche, vor allem unter der Fragestellung, inwieweit der Mythos eine Bereicherung für DSA bzw. Aventurien darstellt.

Wo liegt der Mehrwert?

Zunächst lässt sich diese Frage recht simpel beantworten: Der Hauptband beispielsweise bietet eine enorme Erweiterung der vorhandenen Kreaturen. Wer sein Aventurien um extrem böse und gefährliche Wesen erweitern möchte, kann hier sicherlich fündig werden. Schweigen aus Somerrisk und die Anthologie Unheilvolles Grauen stiften zudem je 2 kurze Gruppen- bzw. Soloabenteuer bei, was in einem in dieser Hinsicht bislang eher erscheinungsarmen Publikationsjahr 2020 willkommen ist. Das Heldenbrevier der Noioniten und das Cthulhu-Vademecum haben bei mir unabhängig von der Gesamteinordnung einen positiven Eindruck hinterlassen, weil sie spannend zu lesen waren.

Positiv muss man zudem ansprechen, dass hier keinesfalls eine lieblose Umsetzung stattgefunden hat, und einfach nur ein paar Werte übersetzt wurden. Die beiden adaptierten Bände (also Sandy Petersens Cthulhu-Mythos und Schweigen aus Somerrisk) wurden entsprechend überarbeitet, vor allem im Hauptband sind überall Anpassungen erkennbar, die nicht nur formal die Werte der Kreaturen oder die Regelaspekte betreffen, sondern auch inhaltliche Überarbeitungen der Texte darstellen. Was sicherlich als eine Besonderheit markiert werden muss, ist der Umstand, dass mit Unheilvolles Grauen, dem Heldenbrevier der Noioniten und dem Cthulhu-Vademecum drei Bände entstanden sind, die speziell für den deutschen Markt und DSA verfasst wurden. Das stellt eine deutliche Erweiterung des Grundbestandes dar und bietet den Spielern auch eine breitere Umsetzung der Thematik.

Adaptiertes Material vs. Eigenkreationen

Aber schon hier merkt man die Unterschiede: Aus meiner Sicht ist das eigens erstellte Material für DSA-Spieler deutlich besser verwendbar als das Originalmaterial. Gerade der Abenteuerband Schweigen aus Somerrisk hat in meiner Wahrnehmung mit Aventurien nichts tun, spielt er doch ausschließlich in den Traumlanden (und es sind sogar Figuren von dort als Spielcharaktere vorgesehen). Dagegen sind die Abenteuer der Anthologie Unheilvolles Grauen klar auf Aventurien bezogen. Nachteil hier ist allerdings, dass nur ein weiteres Gruppenabenteuer vorhanden ist.

In der Machart der Abenteuer fällt mir eine relativ grobe Vorgehensweise auf. Alle Abenteuer haben nur eine sehr kurze Seitenzahl. Bei den Soloabenteuern führt dies zu einem sehr gradlinigen Vorgehen, bei den Gruppenabenteuern geht dies zu Lasten der Umgebungsbeschreibungen und vor allem der Figuren. Gerade Interaktion mit NSC ist nur eingeschränkt vorgesehen bzw. muss ggf. von der Spielleitung selbst ausgearbeitet werden. Hier sehe ich schon deutlich Unterschiede zum „normalen DSA“ mit seiner Detailversessenheit.

Demgegenüber stellen die beiden kleinen Prosabände für mich die Highlights des Crowdfundings dar, weil sie spannend zu lesen sind. Das Cthulhu-Vademecum ist geschickt als lesbare Verschwörungstheorie konstruiert und liefert viele Verbindungsansätze, wo man die Bindeglieder zwischen dem Cthulhu-Mythos und aventurischer Mythologie setzen kann. Mit dem abschließenden Kapitel wird zudem ein guter Spielhilfeteil hinzugefügt, der mit einer möglichen Zerschlagung des beschriebenen Kultes für mich den spannendsten Abenteueransatz liefert. Dafür muss man umgekehrt auch deutlich sagen, dass sich dafür die Lesefreundlichkeit in Grenzen hält, die vielen formelhaften Wiederholungen eines Wahnsinnigen können mitunter auch sehr anstrengend sein. Uneingeschränkt positiv sehe ich das Heldenbrevier der Noioniten, das eindeutig eine aventurische Perspektive einnimmt, in der ich wenige Brüche sehe, auch hier sind Mythos und Aventurien gut verbunden worden und vor allem wird eine spannende Geschichte auf eine sehr klassische Weise erzählt.

Optimismus vs. Pessimismus

Große Differenzen sehe ich hingegen in dem atmosphärischen Stil: DSA ist für mich, auch wenn das sicher eine etwas altmodische Sichtweise im Sinne eines HeldInnenrollenspiels ist, im Kern ein optimistisches Spiel. Heldengruppen sind in der Regel dem Guten verpflichtet (auch wenn das sicher durch gewisse Grauzonen ausgelotet werden kann), Antrieb ist es primär, das Abenteuerziel erfolgreich zu erreichen. Die Spielcharaktere sind zumeist nicht austauschbar, sondern werden (allein schon bedingt durch eine oft ellenlange Charaktererstellung) gehegt und gepflegt, in Rahmen eines komplexen Regelsystems mit Sonderfertigkeiten langsam ausgebaut und wachsen nicht selten ans Herz.

Cthulhu ist ganz offenkundig pessimistisch ausgeprägt, das Scheitern ist kalkulierter Spielinhalt, die Charaktere drohen stets dem Wahnsinn anheimzufallen, die feindlichen Mächte der Umgebung können oft nicht bezwungen werden, sondern erweisen sich als übermächtig. Hier halte ich es für sehr schwierig, beides miteinander zu vereinbaren, was sich gerade in den Soloabenteuern zeigt, die doch sehr von denen abweichen, die man sonst für Aventurien kennt. Im Endeffekt erscheint mir das Muster gegensätzlich zu dem, was ich für Aventurien gewohnt bin: Nicht die Charaktere bestimmen die Situation, sondern die Situation bestimmt die Charaktere.

Braucht Aventurien den Cthulhu-Mythos?

Dies ist für mich natürlich der Kernfrage zur Bewertung des gesamten Crowdfundings. Und hier muss ich leider zu einem recht eindeutigen Urteil kommen: Für mich hat das gesamte Paket wenig Nutzen bzw. überwiegen für mich die Nachteile den Nutzen.

Zunächst ist Horror natürlich ein interessantes Spielelement, das ein Setting durchaus bereichern kann. Nur braucht es dafür keine solch expliziten Cthulhu-Bestandteile. Genau genommen existieren viele davon ja schon längt in Aventurien, bedingt durch die Vielzahl an Anleihen, die in Entstehung und Entwicklung der Spielwelt ohnehin aus der irdischen Kultur entnommen wurden. Charyptoroth beispielsweise als Dämonin weist deutliche Parallelen auf, gleiches gilt für viele andere Wesen. Zudem gibt es bereits viele Abenteuer, die klassische Horrorelemente enthalten, und dies schon seit recht frühen Phasen von DSA, z.B. in Der Wolf von Winhall oder sogar schon in Der Wald ohne Wiederkehr, besonders positiv hervorzuheben ist außerdem die Anthologie Dämmerstunden. Und auch die Grenzbereiche zwischen Traum(-welten), Wahnhaftigkeit und Wirklichkeit sind schon in vielen DSA-Abenteuern thematisiert worden. Hier sind Horrorelemente enthalten, die bruchlos nach Aventurien passen und nicht plötzlich fremde Elemente hinzufügen. Sprich: Cthulhu-Elemente sind doch ohnehin enthalten, auch ohne dass sie explizit als solche benannt werden,

Ähnliches gilt für an sich interessante Aspekte wie die Traumlande. Hier handelt es sich sicherlich um eine faszinierende Welt mit vielen Möglichkeiten. Doch wozu braucht man etwas, was es durch verschiedenste Globulen in Aventurien ohnehin schon gibt bzw. sich dort gut ohne Fremdanleihen kreieren lässt? Zudem sind die Traumlande im Kernband nur extrem grob beschrieben worden, so dass sich auch nur wenig nützliche Anregungen finden, man müsste das meiste ohnehin selbst entwickeln.

Und letztlich beschleicht mich auch das Gefühl, dass die Bereiche, die ich weiter oben als durchaus positiv angesprochen habe, einen gewissen Preis gehabt haben. Mit Sebastian Thurau, Mhaire Stritter, Carolina Möbis und Dominic Hladek sowie den Bandredakteuren haben ganz offensichtlich eine ganze Reihe Leute, die eigentlich auch gut mit originären DSA-Projekten ausgelastet sein dürften, ihren Beitrag geleistet. Als jemand, der sich über Fortschritt in den Bereichen der Regionalspielhilfen und gerade auch im Metaplot immer sehr freut, muss ich schon feststellen, dass hier vieles seit dem Editionswechsel teils schleppend stattfindet. Dann erwecken Großprojekte wie Wege der Vereinigungen und eben der Cthulhu-Mythos schon den Eindruck, dass diese zulasten anderer Fortschritte gehen. Und dabei handelt es sich um elementare Spielbereiche von DSA, die ich als deutlich wichtiger ansehen würde.

Solche Luxusprojekte sind für mich dann eher kommerzielle Aspekte, die ich doch sehr kritisch bewerte, wenn hier ein großer Name für Aufmerksamkeit und Käufer sorgen soll. Zudem zeigen ja Crowdfundings wie Havena und vor allem Thorwal, dass ureigene DSA-Publikationen sehr erfolgreich angenommen werden und schlichtweg gewollt sind. Aus diesem Grund würde ich Letzteren auch immer wieder den Vorrang geben.

Wichtig ist mir zuletzt noch der Punkt der Kreativität: Aventurien ist für mich so reich an Geschichten und Möglichkeiten, dass ich es nicht für notwendig halte, zusätzliches Material zu adaptieren. Natürlich geben die vielen Kreaturen eine Erweiterung, aber wenn ich einen Blick in das Aventurische Pandämonium I+II werfe, sehe ich dort eine Fülle an Kreaturen, die für mich viel griffiger sind und die merklich für die Spielwelt originär erstellt wurden. Und im Abenteuerbereich sehe ich es ähnlich, gerade der Metaplot bietet genügend Abenteuerstoffe, als dass dort nicht noch externe Quellen aktiviert werden müssten.

Fazit

Qualitativ kann ich an den Bänden des Cthulhu-Mythos wenig aussetzen, sie bieten durchaus interessante Inhalte und können sicherlich auch viele Spielanregungen kreieren. Letztlich passt das gesamte Material aber in meiner Wahrnehmung nicht zu Aventurien, primär wegen der pessimistischen Grundhaltung. Zudem halte ich es für deutlich sinnvoller, mehr DSA-eigenes Material zu produzieren und sich hierauf zu fokussieren, anstatt fremde Publikationen zu adaptieren. Eine Trennung beider Spielwelten halte ich in jedem Fall für deutlich logischer.

1 Kommentar

Hinterlasse einen Kommentar