Retro-Check: Classic Wunderwelten

Vorbemerkung: Anders als bei den anderen Bänden des Classic-Crowdfundings handelt es sich bei Classic Wunderwelten um ein Produkt, das nicht erst eine nachträgliche DSA-Konvertierung benötigt, sondern das Material war schon ursprünglich so angelegt. Allerdings handelt es sich dabei trotzdem in der Nachbearbeitung um ein neu entstandenes Heft, da es keine Neuauflage einer normalen Ausgabe der Wunderwelten (das Hausmagazin von Fanpro) ist, sondern eine Zusammenstellung von zueinander passenden Artikeln, die teils in völlig unterschiedlichen Heften abgedruckt waren.

In Zahlen:

–  52 Seiten

– 14 Artikel

– erschienen am 12.12. 2021 (Daten im Original nicht nachvollziehbar, da die Artikel in unterschiedlichen Ausgaben der Wunderwelten erschienen sind)

– Preis: 14,95 Euro

I. Aufbau und Inhalt

Wie bei den anderen Classic-Bänden auch ist zunächst ein Vorwort von Werner Fuchs vorangestellt, der diesmal auf die Wunderwelten-Historie eingeht, unter anderem auf zwei Cover und die finanziell bedingten Gründe für die spätere Einstellung.

Den inhaltlichen Schwerpunkt nimmt eindeutig die Konstruktion Al´Anfas in ihren Anfängen ein. Dazu ist zunächst der Artikel Paläste – Hütten – Boronwunder von Ralf Hlawatsch vorhanden, der in Addition zur ebenfalls beinhalteten großformatigen Al´Anfa-Karte die Stadt vorstellt. Dabei wird unter anderem auf die Geschichte der Stadt eingegangen, aber auch auf die damals aktuellen Machtverhältnisse und die Boronkirche. Das Haus der Wanija Edelmin ergänzt dies um einen konkreten Schauplatz und die dort lebenden Personen. Ebenfalls in Al´Anfa ist das Abenteuer Von Raben und von Falken angesiedelt. Dabei gilt es, einen verschwundenen Kaufmannssohn aus Brabak zu finden. Schnell stellt sich heraus, dass dieser ein Spielball des dortigen Intrigenspiels geworden ist, welches bis in die Kreise der höchsten Würdenträger reicht. Gelichter der Großstadt fügt noch sehr exemplarisch ein paar Gewerbetreibende der Stadt hinzu, z.B. einen Ratgeber für alle Fälle. Fella Fuchshaars flinke Finger sind zuletzt eine dreiköpfige Gaunerbande, die sich im harten Überlebenskampf des Schlunds zusammengeschlossen haben.

Das Frettchen ist eine Kurzgeschichte aus der Feder von Jörg Raddatz, das mit dem halbelfischen Graf Golambes eine der prominentesten Figuren Aventuriens (immerhin auch mal Protagonist eines eigenen Soloabenteuers) in den Mittelpunkt stellt. Dabei macht Golambes die Bekanntschaft eines ausgesprochenen skurrilen Mannes, der offenbar ein Geheimnis birgt.

Auch ein Drache lässt mal Schuppen von Ralf Halgasch und Arnulf Kölling führt in eine andere Metropole Aventuriens, genauer gesagt nach Havena. Dort kann die Heldengruppe in den Konkurrenzkampf dreier Untergrundbanden verwickelt werden, während sie einen jungen Adeligen bei seinem ersten Ausflug in eine Großstadt eskortieren. Der junge Mann erweist sich als ausgesprochen abenteuerlustig und kann nicht widerstehen, als ihn und seine Begleiter ein ebensolches Abenteuer anlacht.  

Die Adelsmarschall Jarkos von Thomas Römer präsentiert einen völlig anderen Ort, denn es handelt sich dabei um ein Großpassagierschiff, das eine Strecke rund um ganz Aventurien fährt, von Festum über Al´Anfa bis nach Havena. Dazu sind Pläne von allen Decks vorhanden, wobei alle Schiffräume auf einen Beschreibungstext erhalten haben. Zudem gibt es Schilderungen der wichtigsten Besatzungsmitglieder. Abgerundet wird die Spielhilfe um drei Szenariovorschläge.

Die letzten drei Artikel entstammen einer anderen Textsorte. Insgesamt drei Kolumnen aus der Feder von Andreas Blumenkamp wurden dafür ausgewählt. Die ikonengetriebene Vervollständigung der Ebenen setzt sich mit Übersetzungsschnitzern und -kuriositäten in Computerspiel-Lokalisationen auseinander, während Das große Buch der vollendeten Rollenspiel-Zerstörung eine kritische Rezension des damals erschienenen Rollenspielbandes Role-Master – Das Buch der Magie darstellt. Frauen am Spieltisch? Das muss nicht sein ist zuletzt eine satirische Beschreibung von Vorurteilen. Der Band endet dann mit Blumenkamps Wunderwelten von Kai Frerich und Werner Fuchs, was eine Würdigung von Ulrich Kiesows Alter Ego Andreas Blumenkamp darstellt.       

II. Kritik

Zum einen muss ich ein weiteres Mal feststellen, dass das gesamte Material einfach aus einer anderen Zeit stammt und dass sich Stil und Inhalt von DSA-Spielhilfen und -Abenteuern mittlerweile doch sehr gewandelt haben. So sind die beiden Abenteuer doch sehr stark in ihrem Ablauf vorgegeben und man folgt klar ausgelegten Schienen, bei denen die Dramaturgie im Vordergrund steht und nicht so sehr die freie Bestimmung des Handlungsablaufs durch die Spieler*innen. Bei den Spielhilfen ist z.B. in der Beschreibung Al´Anfas einiges vorhanden, was bis heute gültig ist, einige Aspekte sind aber längst nicht mehr Kanon.     

Trotzdem hat das alles seinen Reiz, beispielsweise merkt man, dass damals die Schreiber gute Erzähler waren. In die Auswahl sind dementsprechend auch die Artikel von großen Namen wie Ulrich Kiesow, Ralf Hlawatsch, Jörg Raddatz und Thomas Römer gekommen (wahrscheinlich nicht zufällig). Bis auf letzteren sind diese auch mittlerweile leider verstorben, so dass hier sicher auch der Hommage-Charakter eine Rolle spielt.

Und in der Hinsicht funktioniert der Band auch, er zeigt sie in ihrer Rolle als Geschichtenerzähler. Highlights sind dabei für mich die schöne Kurzgeschichte Das Frettchen und vor allem die Beschreibung der Adelsmarschall Jarkos, die ich auch heute noch für einen spannenden Schauplatz halte, auch wenn sicher vieles in dem Artikel etwas unrealistisch wirkt.

Besonders hervorgehoben wird dabei natürlich Ulrich Kiesow mit seinen Kolumnen, die er als Andreas Blumenkamp verfasst hat. Hier muss ich zugeben, dass ich inhaltlich damit eher weniger anfangen kann. Der Artikel zu Computerspielübersetzungen stellt ein bekanntes Phänomen der 90er Jahre dar, die in der Tat eine Menge völlig unsinniger Übersetzungen hervorgebracht haben, die beim Spielen irgendwas zwischen fast körperlichem Schwerz und herzhaften Lachkrämpfen ausgelöst haben. Wenn man den Rolemaster-Band nicht kennt, ist dafür der Rezensions-Artikel eher reizlos. Den Artikel über Frauen im Rollenspiel würde man heute so sicher nicht mehr schreiben, der Humorfaktor hält sich auch eher in Grenzen, da er schlicht sehr übertrieben formuliert ist, wahrscheinlich aber auch viele Vorurteile der Zeit zeigt (bisweilen aber vielleicht auch ungewollt). Spannend finde ich dafür den Hintergrundartikel über Andreas Blumenkamp als Pseudonym von Ulrich Kiesow.

In der physischen Machart habe ich allerdings einen sehr klaren Kritikpunkt: Auch wenn es damals üblich war, Karten einfach mit in die Heftklammerung des ganzen Bandes zu setzen, so darf man das heute einfach nicht mehr so ausliefern. Es ist selbst mit großer Vorsicht kaum möglich, die Al´Anfa-Karte aus der Klammerung zu bekommen, ohne sie zumindest leicht zu beschädigen. An dieser Stelle kann ich das nostalgische Gefühl wirklich nicht gebrauchen, sondern ich erwarte einen modernen Produktstandard.

III. Fazit

Die Classic-Wunderwelten lassen die Leser*innen in alte DSA-Zeiten eintauchen, als die Welt noch längst nicht so eng beschrieben war und hier auf inoffiziellem Weg Zusatzmaterial hinzugefügt wurde. Dabei fällt auf, dass der Stil der Artikel heute sicher nicht mehr zeitgemäß ist, er zeigt einige der bekanntesten Autoren aber als talentierte Erzähler, die vor allem Geschichten erzählen wollten. Zudem ist der Band auch eine Hommage an einige leider schon Verstorbene, die sich große Verdienste um DSA erworben haben.

Bewertung: An dieser Stelle halte ich eine konkrete Punktwertung für eher nicht sinnvoll, da hier meiner Meinung nach Nostalgie heutige Spielbarkeit übertrifft               

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