Rezension: Rahjas Gunst

Vorbemerkung: Ich gebe zu, dass bei keinem Band der vergangenen Jahre so viele Zweifel meinerseits mitklingen wie bei Rahjas Gunst, dem Hauptband von Die Gunst der Göttin (zumindest auf der Spielhilfen-Seite). Nach wie vor habe ich meine Zweifel, inwieweit hier wirklich eine klar erkennbare Abgrenzung zu dem von mir damals stark kritisierten Wege der Vereinigungen stattfindet, denn immerhin hat Ulisses ja immer wieder betont, dass es eben nicht Wege der Vereinigungen 2 sein soll, sondern es sich klar um eine Publikationsreihe handeln soll, die den Rahjaglauben in den Mittelpunkt stellt. Dementsprechend erwarte ich auch, dass der Inhalt dieses Versprechen auch einhalten kann. Ein klarer Unterschied besteht ja schon darin, dass es tatsächlich ein reiner Hintergrundband ist und man keinerlei Regeln beinhaltet findet. Spannend ist zudem für mich die Frage, inwieweit so ein Band auch das Karmakorthäon behandelt, dazu wäre er ja prädestiniert, den Metaplot der aventurischen Götterdämmerung fortzuführen.

In Zahlen:

– 160 Seiten

– Preis: 39,95 Euro

– Erschienen am 21.6. 2023

I. Aufbau und Inhalt

Nach dem üblichen Vorbemerkungen beginnt der Band mit dem Kapitel Rahjagefällige Bräuche. Dabei geht es aber weniger um allgemeine Bräuche, sondern um regionale Unterschiede. Somit widmen sich die Unterkapitel Almada, Südaventurien, dem Bornland, dem Lieblichen Feld, den Streitenden Königreichen, den Trollzackern, den Zyklopeninseln, zudem wird auch der aventurische Fokus verlassen und es finden sich Anmerkungen zu Myranor, Uthuria, Rakshazar und Tharun.

Die folgenden Göttergeschichten stellen eine Sammlung von Ingame-Schilderungen dar, eben nicht unterbrochen durch Spielhilfe-Texte. Dabei geht es natürlich zunächst um die Mythen um Rahja selbst, aber auch um Levthan, Aves und Khabla, die göttlichen Rösser Sulva und Tharvun sowie Acandear von Barburin. Ebenso werden konkurrierende Entitäten wie Owalla und Belkelel berücksichtigt. Dazu gibt es noch gemischte Quellen, ebenso Anmerkungen zur Darstellung von Rahja und Levthan.

Orden und Kulte stellt verschiedene Organisationen in den Mittelpunkt: Dabei erfolgt zum Einstieg jeweils ein kurzes Ingame-Zitat, dann schließt sich eine stichwortartige Vorstellung an, bevor auf den Hintergrund und die Geschichte eingegangen wird. Dies wird konkretisiert um Anmerkungen zur typischen Tracht, der Struktur der Gemeinschaft, etwaigen Aufnahmeritualen, Feinde und Verbündete und bekannte Ordenshäuser. Für Heldengruppen besonders relevant sind natürlich bedeutende Mitglieder, die eine Kurzcharakterisierung erhalten. Zuletzt endet die Beschreibung mit einigen Mysterien als Abenteueraufhänger. Vorgestellt werden die Rahjakavaliere, die Rosenritter, der Orden der Säbeltänzer, die Dornen der Rose, die Levthanswächterinnen, der Tempel der Morgenröte, die Jünger der verzehrenden Flamme (ein Owalla-Kult).

Da Glaube ja auch immer Orte der Anbetung hat, werden zwei typische Tempel beschrieben, ein Tempel der Rahja und einer des Levthan. Als Mittel dazu fungiert ein Rundgang, der durch eine Karte ergänzt wird. Dazu kommen Schilderungen des Tempelalltags, des Tagesablaufs, der dort erhältlichen Dienstleistungen, der Statuen und Abbildungen, der Opfergaben und der Reliquien. Auch hier finden sich Szenarioideen. Für die Rahjatempel in ganz Aventurien ist außerdem eine tabellarische Übersicht vorhanden. Ebenso werden die verschiedenen Ränge innerhalb der Kirchenhierarchie skizziert, wobei sich auch auf die Sonderfunktion der Geliebten der Göttin bezogen wird. Ergänzt wird dies um weitere Kurzcharakterisierungen der bekanntesten Rahjageweihten (plus zwei Levthangeweihte). Auf der dinglichen Ebene werden zusätzlich die Hauptreliquien aufgeführt: Der Kelch der Rahja, der erste Schleier, das Joborner Liebeslicht, das Levthansband und der Schleier der Gleichmut. Wie alle Religionen existieren auch hier besondere Feiertage, die aufgeführt werden, beginnend mit dem Fest der Freuden. Auf der mythischen Ebene werden außerdem Heilige, Alverniare und Halbgötter vorgestellt: Berücksichtigt werden Levthan, Aves, Sulva und Tharvun, Ascandear von Baburin, St. Khabla, Sancta Dorlen von Joborn, St. Rahjalina, Sanct Valpo und St. Xaviera.

Im Hintergrundbereich folgen einige Schönheitsideale, die oft von Region zu Region unterschiedlich sind. Außerdem gibt es einen Exkurs zum Umgang mit Levthan, wozu drei Option für Spielgruppen vorgeschlagen werden: 1. den bisherigen diffusen Status zu erhalten, 2. ihn als antagonistischen Gott zu verwenden (der also auf die Schurkenrolle festgelegt ist)  oder 3. ihn als Betrogenen  darzustellen, wobei der Ausgangspunkt jeweils die Vergewaltigung Satuarias ist. Im Bereich der Bräuche wird auf Junggesellenabschiede, Spiele, Naschwerk (mit drei real nachvollziehbaren Rezepten), Mode, Rauschmittel und Liebe eingegangen. Zuletzt schließt der Band mit einer Stadtbeschreibung von Belhanka, der Hochburg des Rahjaglaubens, wozu neben einem Stadtrundgang auch ein Exkurs über die Höfe der Abendröte, den Lyceen für Kurtisanen gehört. Im Einband ist dazu passend eine Karte der Stadt vorhanden.

II. Kritik

Positiv muss ich zunächst anmerken, dass der Band wirklich etwas ganz anderes als Wege der Vereinigungen ist. Statt absurden Regelkonstrukten finden sich hier oft interessante Hintergrundinformationen. Und anders als besagter Band (und auch viele Bände dieses Crowdfundings) sind auch diese Hintergründe nicht ständig und fast schon zwanghaft auf explizite Darstellung von Sexualität ausgerichtet, sondern setzen sich wirklich mit den mystischen und strukturellen Aspekten des Rahjaglaubens auseinander. Viele Inhalte halte ich dabei für relevant, gelungen sind beispielsweise die Darstellungen der regionalen Unterschiede. Natürlich kommt das nicht ohne Klischees aus, indem z.B. Andergaster eher hinterwäldlerisch und Liebfelder dagegen elegant-verspielt wirken, im Ganzen aber ist das auch für die Spielleitung nützlich. Ein schöner Bonusaspekt ist zudem, dass hier auch auf die anderen Kontinente eingegangen wird, die sonst ja völlig in den Hintergrund rücken bzw. fast schon vergessen scheinen. Ein solches Lebenszeichen halte ich auf jeden Fall für einen Mehrwert. Gleiches gilt für die Orden und Kulte, denen ich eine sehr hohe Spielrelevanz zuweisen würde. Besonders interessant erscheint mir hierbei, dass mit Owalla auch eine antagonistische Göttin mehr Charakteristika erhält, die – anders als Belkelel – auch ein Profil aufweist, welches auch Spieler*innen ansprechen kann mit dem Aspekt der Obrigkeitskritik. Generell erscheinen mir in diesem Kapitel auch viele Abenteueranregungen zu liegen, die eben nicht so banale Dinge wie die Organisation einer Orgie beinhalten, sondern echte Intrigen und Mysterien.

Was sich mir hingegen gar nicht erschließt, ist die allgemeine Struktur des Bandes bzw. dessen Ordnungsprinzip. So kann ich beispielsweise nicht nachvollziehen, warum im zweiten Kapitel die Gottheiten/Alverniare nur in Ingame-Texten präsentiert werden, in dieser geballten Form sind das ja eher Inhalte eines Vademecums. An eine Spielhilfe habe ich die Erwartung, dass dort Hintergrundinformationen enthalten sind, die über das aventurische Ingame-Wissen hinausgehen.

Zudem folgen ja weiter hinten im Band nochmal dieselben bzw. teilweise deckungsgleiche Inhalte, nur eben ergänzt um Spielhilfe-Informationen, im Abschnitt zu Alveraniaren (ab Seite 117). Was dabei aus meiner Sicht völlig inakzeptabel ist, ist der Umstand, dass dort innerhalb desselben Bands nochmal dieselben Texte fast wortgleich als Einführungen verwendet werden, im Falle von Ascandear handelt es sich dabei z.B. um fast eine ganze Seite. Eine solche Doppellungen kann ich nicht im Ansatz nachvollziehen. Was mich explizit verärgert ist der Umstand, dass man sich seitens der Bandmacher dessen auch bewusst war, auch weil es in der Rückmeldephase angesprochen wurde. Daraufhin wurden aber mitnichten die Texte ausgetauscht oder gegen andere Schwerpunkte ersetzt, stattdessen wurden sie in den Formulierungen minimal verändert.

Ein krasses Beispiel hierfür ist ein Text über Khabla, der auf Seite 37 so formuliert ist: Khabla aber war ebenso schön wie seine Schwester Meriban, die zur gleichen Stunde wie er geboren ward und bereits das frostige Herz des grimmen Herrn Firun erwärmt hatte. Die Göttin Rahja aber frohlockte, als sie ihn sah, so herrlich war seine Gestalt, und sie legte sich zu ihm und liebkoste seinen Körper, der in seiner Makellosigkeit dem ihren glich. Da sie aber die Mühsal einer Schwangerschaft nicht auf sich nehmen wollte, ließ sie Khabla ihren gemeinsamen Sohn austragen. So erblickte der Halbgott Levthan das Licht der Welt. Seinen Vater aber holte die Liebliche jung und schön zu sich in ihr Zelt, damit er sie auf alle Zeit mit seiner Anmut erfreute.

Auf Seite 119 hingegen liest sich der Text so: Khabla jedoch war ebenso lieblich wie seine Schwester Meriban, die im selben Augenblick wie er geboren wurde und bereits das eisige Herz des stolzen Herrn Firun erwärmt hatte. Die Göttin Rahja war entzückt als sie ihn sah, so prächtig war seine Erscheinung, und sie umarmte ihn liebevoll, sein Körper makellos wie der ihre. Da sie jedoch nicht die Last einer Schwangerschaft auf sich nehmen wollte, überließ sie es Khabla, ihren gemeinsamen Sohn zur Welt zu bringen. So erblickte der Halbgott Levthan das Licht der Welt. Sein Vater aber wurde von der Lieblichen, jung und schön, in ihr Zelt gerufen, um sie für alle Ewigkeit mit seiner Anmut zu erfreuen.

An dieser Stelle muss ich ganz eindeutig sagen, dass ein solches Vorgehen für mich absolut inakzeptabel ist. Auf Kritik an Doppelungen kann man doch nicht dadurch reagieren, indem man die Texte sinngemäß völlig gleich lässt und einfach nur die Syntax leicht umstellt und ein paar Wörter durch Synonyme ersetzt. Wenn Leute gutes Geld auf den Tisch legen und dem Verlag vertrauen, dass sie dafür auch entsprechende Mehrwerte erhalten, darf man nicht derart mit ihnen umgehen. Hier stört mich wie gesagt noch mehr als die Doppelung, dass man sich der Problematik offenbar voll bewusst war. Das lässt sich auch dadurch belegen, dass beide Texte in der ursprünglich an die Unterstützer versendeten Version völlig wortgleich gewesen sind. Die Veränderung wurde also nach dem Feedback vorgenommen.        

Im hinteren Drittel wirken die einzelnen Schwerpunkte zudem einfach willkürlich hintereinandergestellt, z.B. hat es keinen Sinn für mich, warum Anmerkungen zum Umgang mit Levthan auf einen Exkurs über Schönheitsideale folgen und vor die Bräuche gesetzt werden. Stattdessen müsste so ein Text doch an den Bandanfang zur allgemeinen Vorstellung des Gottes. Was mir zudem fehlt, ist ein größeres, abschließenden Mysterien-Kapitel, hier hätte man z.B. noch viel mehr zur Konkurrenz zu Owalla skizzieren können.

Im Bereich der Doppelungen muss ich vor allem die letzten 15 Seiten kritisch ansprechen: Natürlich mag Belhanka als die Stadt Rahjas gelten und somit gibt es natürlich eine Verbindung zum Band. Aber die gut 15 Seiten, die sich mit der Stadt und den Höfen der Abendröte beschäftigen, sind einfach nur 1:1 aus dem Wege der Vereinigungen-Begleitband Kurtisanen und Bordelle entnommen (und waren dort schon mehrheitlich eine Abschrift aus dem ursprünglichen Beta-Abenteuer Die Gunst des Fuchses). Derartiges Füllmaterial halte ich als zahlender Kunde ebenfalls für inakzeptabel, immer und immer wieder doppelte Inhalte zu konstruieren, das sollte endlich der Vergangenheit angehören. Fast zwangsläufig drängt sich hier der Eindruck auf, dass es dabei auch darum ging, auf eine gewisse Seitenlänge zu kommen. Das hängt auch damit zusammen, dass ja andere Stadtbeschreibungen wie die für Zorgan und Al´Anfa in das Kompendium der Gunst der Göttin ausgelagert wurden. Genau da hätte ich einen solchen Inhalt eher als akzeptabel angesehen, da ja dort Ergänzungsmaterial zur Verfügung gestellt wird. Dann sollte man dies auch konsequent so nutzen und nicht den Hauptband dazu verwenden,     

III. Fazit

Rahjas Gunst ist in vielen Inhalten durchaus interessant und bedient deutlich mehr Spieltiefe als viele andere Bände dieses Crowdfundings, vor allem im Bereich regionaler Besonderheiten im Rahjaglauben und der Organisationen. Dafür hat der Band aus meiner Sicht gravierende Strukturmängel und enthält einmal mehr völlig überflüssige Doppelungen, teilweise sogar innerhalb des Bandes.

Bewertung: 3 von 6 Punkten     

4 Kommentare

  1. Danke für die Rezension. Der Band scheint sehr schwach konzipiert und hauptsächlich eine Kopie von alten Inhalten. Besonders fehlt komplett der Fokus auf die Kirche zB in Fasar. Sowohl in diesem Band als auch im Personenband kommt zum Beispiel Reshalia ai Djer Khalil gar nicht vor.

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  2. Ich habe mir den Band jetzt doch mal bestellt, da deine Zusammenfassung der Inhalte schon interessant klingt. Da ich nichts vom WdV-Set besitze, hat die Belhanka-Beschreibung für mich tatsächlich Mehrwert.

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