Rezension: Almanach der Ungeheuer

Vorbemerkung: Das Eynmaleyns der Kräuterkunde hat einen neuen Trend gesetzt, auf reich illustrierte Ingamebände zu setzen, in denen NSC-Expert*innen ihre Erfahrungen zu aventurischen Sachverhalten vermitteln. Nach Kräutern und Bordellen setzt sich der neue Almanach der Ungeheuer von Katja Jacobi, Lena und Matthias Kalupner und David Schmidt nun mit der Tierwelt des Kontinents auseinander. Analog zu den mittlerweile sehr guten Spielhilfen im Kreaturenbereich erhoffe ich mir nun einen interessanten und lesenswerten Einblick an das Denken einiger Aventurier, zudem lässt sich der Band auch als Ingame-Quelle nutzen, hieraus kann man ja theoretisch ersehen, was aventurisches Wissen über die beinhalteten Wesen ist, das Büchlein könnte sich ja auch im Besitz eines gelehrten Spielcharakters befinden.

In Zahlen:

– 160 Seiten

– 66 Kreaturen, von vier unterschiedlichen Autor*innen beschrieben

– Preis: 39,95 Euro

– erschienen am 28.9. 2023

I. Aufbau und Inhalt

In einem Punkt unterscheidet sich der Band sehr vom Eynmaleyns der Kräuterkunde, indem es nicht einen fiktiven Einzelautoren gibt, sondern hier gleich vier unterschiedliche Schreiber*innen ihr Wissen zusammengefügt haben: Dabei handelt es sich um die horisische Gelehrte Dottora Feodora Pimina di Castellani, die Andergaster Kampfmagierin Jarwen von Wolfenstein, den zwergischen Großwildjäger Uhyrlix, Sohn des Rombosch und den Al´Anfaner Naturkundler Orelio Santuez. Immer ist ein Kreaturenartikel erkennbar von einer dieser vier Personen verfasst, dem schließen sich dann meist Anmerkungen von einigen (manchmal auch allen) der anderen an. Diese sind dann durch einen jeweils unterschiedlichen, der Person zugeordneten Schrifttyp voneinander unterscheidbar.

Der Kernbereich des Bandes besteht aus meist zweiseitigen Kreaturenbeschreibungen. Dabei werden zunächst alternative Bezeichnungen des Wesen aufgeführt (z.B. in unterschiedlichen Sprachen, aber auch regionale Bezeichnungen) sowie die wissenschaftliche Bezeichnung. Dann schließen sich gängige Angaben zu Größe, Gewicht, Verbreitungsgebiet, Ernährung und Brunftzeit an. Ebenso gibt es eine Einschätzung des Gefahrenpotentials von harmlos bis absolut tödlich. Zuletzt werden verwandte Arten und typische Merkmale hinzugefügt.

Diese stichwortartigen allgemeinen Angaben werden dann von einem Text begleitet, der von einer der Expertenfiguren aus einer subjektiven Perspektive abgefasst wurde. Dabei kann es sich um Forschungsergebnisse, persönliche Erfahrungen oder Berichte aus zweiter Hand handeln. Beispielsweise kann Uhyrlix über den Forstwurm auch basierend auf einer persönlichen Begegnung berichten. Orelio hingegen schlägt gerne einen lobenden Bogen zu seinen Al´Anfanischen Gönnern, die ihm seine Forschungen ermöglichen. Ihn und Feodora verbindet zudem offenkundig eine tiefgreifende Rivalität, da ihre Anmerkungen oft mit gegenseitigen Spitzen angereichert sind, die auf höflich-süffisante Art die Kompetenz des anderen in Frage stellen. Insgesamt werden auf diese Weise 66 unterschiedliche Kreaturen vorgestellt, worunter sich drachenartige Wesen genauso wie Schauerwesen wie Ghule, Vampire und Werwölfe befinden, aber auch Einhörner und klassische Gegnerwesen wie Khoramsbestien. Gemein ist den Wesen, dass es sich nicht um eher profane Tiere handelt, im Regelfall gilt die Titeleinordnung des Ungeheuers insofern, als dass es meisten Kreaturen sind, die auch eine gewisse Herausforderung darstellen, wenn man ihren begegnet (nicht unbedingt immer als Feind gemeint). Die meisten Wesen haben zudem noch skizzenhafte Zeichnungen erhalten, die im Stil so gehalten sind, als hätten die Expert*innen sie von Hand entworfen, weshalb auch handschriftliche Notizen dazugehören.

Zu Beginn des Bandes gibt es zudem noch Exkurse zu Tierhäuten, der Nahrungsverwendung, Tieren als Trophäen, und möglicherweise zu gewinnenden Alchimika. Ein weiteres Sonderkapitel am Bandende setzt sich mit der Frage der Existenz von Tierkönig*innen auseinander, was umstritten bleibt, auch weil keine der vier Verfasser*innen je einem solchen Wesen persönlich begegnet ist. Zuletzt ist ein Glossar angefügt.

II. Kritik

Ein erste Lob kann ich zunächst der wieder einmal großartigen Optik des Bandes zollen. Der Almanach der Ungeheuer sieht als Ingame-Band ausgesprochen wertig aus und die schönen Illustrationen im Skizzenstil verstärken den immersiven Effekt noch. Die verschiedenen Handschriften sind jedoch aus meiner Sicht etwas störend, weil sie die Texte etwas unruhig wirken lassen, zudem sind sie für mich teilweise schwerer lesbar gewesen, was schlicht den Lesefluss ein wenig stört (was vor allem für den Schrifttyp gilt, der Orelio zugeordnet ist).

Was die Einzelartikel angeht, so gefallen sie mir weitgehend, auch hier passt es ja gut, dass ein Ingame-Band nicht nur der Informationsvermittlung dienen soll (dazu gibt es ja die Spielhilfen-Kreaturenbände, wenn es um das „echte“ Faktenwissen geht, das z.B. eine Spielleitung benötigt, um solche Wesen in einem Abenteuer stilecht einsetzen zu können). Stattdessen wird das mögliche Wissen von Aventuriern aufgezeigt. Und hier mutet es für mich realistisch an, dass auch offenkundige Widersprüche zu den realen Fakten vorhanden sind, manche Aspekte sind in Aventurien schlichtweg unbekannt. Somit halte ich den Band auch für gut am Spieltisch einsetzbar, z.B. kann man sich gut vorstellen, wie ein gelehrter Spielcharakter das Büchlein aus seinem Rucksack zieht und versucht, eine möglicherweise gefährliche Situation mit dem Wissen daraus aufzulösen, was dann im Resultat gleichermaßen nützlich wie auch fatal ausgehen könnte.

Als weniger gelungen erachte ich allerdings den anderen Ansatz, der den Almanach der Ungeheuer vom Eynmaleyns der Kräuterkunde unterscheidet: Durch den Einzelverfasser wirkt letzterer Band aus meiner Sicht mehr wie aus einem Guss, indem dort die gewählten Schwerpunkte meist sehr ähnlich sind. Hier hat man mal die eher nüchtern-realistischen Beschreibungen des Zwergen Uhyrlix, mal die blumigeren, oft weniger substanziellen Ausführungen von Orelio Santuez. Natürlich hat auch das einen gewissen Mehrwert, u.a. was den Unterhaltungsfaktor angeht. Dafür nutzen sich bestimmte Dinge für mich aber auch schnell ab, z.B.  die Zankereien zwischen Orelio und Feodora; die aus meiner Sicht eher überbeansprucht werden. Hier wäre mir ein Einzelerzähler lieber gewesen, allerdings hat das sicher auch mit persönlichem Geschmack zu tun.

Gleiches gilt dann vor allem auch für das jeweilige Artikelende mit den Zusatztexten der anderen Autor*innen, wenn man mitunter 3 verschiedene Ergänzungen aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven erhält, auch das lässt die Texte unruhiger wirken, selbst wenn ich sie qualitativ für viel besser halte als beispielsweise die den Waffenbeschreibungen in den Rüstkammern hinzugefügten Mini-Dialoge der archetypischen Helden, die eine vergleichbare Funktion haben. Wirklich lohnend empfinde ich diese diskursive Schreibweise nur im hochinteressanten Abschlusskapitel über die Tierkönig*innen, wo dieses Mittel auch mehr kompakten Textraum erhält.

III. Fazit

Der Almanach der Ungeheuer ist für mich ein weitgehend gelungener Ingame-Kreaturenband. Den Wert sehe ich vor allem in der gelungenen Darstellung des Wissens aventurischer Gelehrter, das sich auch sehr konkret am Spieltisch nutzen lässt, zudem ist die Optik ausgesprochen wertig. Die diskursive Machart mit vier verschiedenen Autor*innen gefällt mir dafür weniger.  

Bewertung: 4 von 6 Punkten           

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für die wie gewohnt ausgewogene und sachliche Rezension. Das hat mir gut geholfen bei der Entscheidungsfindung: brauche ich den Almanach der Ungeheuer oder nicht? In diesem Fall… eher nicht.

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