Rezension: Kompendium der Winterwacht

Vorbemerkung: Die Zusatzbände zu den Crowdfundings waren früher eigentlich eher Anhängsel, in denen meist in Form der sogenannten Meisterschirmhefte alle Bonusziele gebündelt wurden. Anders gestaltet sich dies im Fall des Kompendium der Winterwacht, hierbei handelt es sich mit über 170 Seiten um den mit Abstand umfangreichsten Band des Crowdfundings. Gerade die vielen Abenteuer und die Akademiebeschreibungen lassen mich aber auf spannende Inhalte hoffen.

In Zahlen:

– 168 Seiten

– Preis: 44,95 Euro

– Erschienen am 2.12. 2024

I. Aufbau und Inhalt

Der umfangreiche Band besteht aus insgesamt drei Kerninhalten: Zunächst sind 6 Abenteuer in unterschiedlicher Länge enthalten (anzusiedeln zwischen Anthologie-Format bis hin zu Szenarien). Dem schließen sich 10 Schauplatzbeschreibungen an, u.a. diejenigen der jeweils drei Magier- und Kriegerakademien des Bornlands. Zuletzt finden sich 5 Kurzgeschichten.

Die Abenteuer

In Dorf ohne Hoffnung von Felix Machka wird die Heldengruppe von einem schwerkranken Händler gebeten, seiner Ziehtochter zu folgen, die sich in den entlegenen Ort Nagrachkoje begeben hat, um mehr über ihre eigenen Eltern zu erfahren. In dem Ort eingetroffen, stoßen die Spielercharaktere auf eine sehr verschlossene Dorfgemeinschaft und entdeckt einige schwelende Konflikte.

Auf die Spuren der Theaterritter wird man in Zeichen der Vergänglichkeit von Kathrin Lieb gesetzt. In Festum erhält man vom Drachenmuseum die Aufgabe, eine Ausgrabung in Neu-Drachenstein zu unterstützen. Dort geschehen seit geraumer Zeit bedrohliche Ereignisse, die innerhalb der Dorfbewohner für massive Zwistigkeiten sorgen, was bis hin zu Lynchjustiz gehen kann. Dazu existiert eine Karte des Dorfs nebst Kurzbeschreibungen der dort wohnenden Familien. Zudem eskalieren die Konflikte durch eine eintreffende Norbardensippe. Dies alles scheint mit einem alten Geheimnis verbunden zu sein, dem man durch die Erforschung verschiedener Orte in der Umgebung auf die Spuren kommen kann.

Sehnsucht, Schuld und Sühne von Julian Marioulas stellt einen gefallenen Bronnjaren in den Mittelpunkt: Zu Beginn treffen die Spielercharaktere mit Baron Nevik von Usnatal-Korgalis zusammen, der durch einige Schicksalsschläge fluchtartig seine Heimat verlassen hat und sich nun dem Alkohol hingibt. In der Unterstützung durch die Heldengruppe sieht er die letzte Chance, die Angelegenheit in Korgalis in Ordnung zu bringen und somit ziehen sie zusammen in seine Heimat, wo es gilt, Neviks Verhältnis zur Ortgemeinschaft zu reparieren und den Ursprung der Unglücksfälle in seiner Familie zu ergründen.    

In Der Golem von Starpnika von Kilian Lieb wird die Stadt Norburg von einer rätselhaften Brandserie heimgesucht. Gleich mehrere Interessensgruppen kommen als potentielle Auftraggeber in Frage, um den oder die Übeltäter zu finden. Schnell weisen einige Hinweise in Richtung der Norbarden. Inhaltlich sind vor allem Recherchemöglichkeiten aufgeführt, sowie ein denkbarer Handlungsverlauf, der von den Held*innen variabel beeinflusst werden kann.

Ebenfalls einen Rechercheschwerpunkt hat Das Erbe der Tsirkevist von Dominic Hladek. Dabei werden die Spielercharaktere beauftragt Milota Tsirkevist, der Leiterin der Nordlandbank, eine Nachricht zu überbringen. Allerdings liegt die alte Dame im Sterben und wird von potentiellen Erben fast schon belagert. Trotzdem ergibt sich aus der Nachricht ein letzter Auftrag Milotas, indem es gilt, für die Sterbende einige wertvolle Güter zu sichern.

Der bekannte Magier Thezmar Alatzer hat in Perldrachen vor die Muttersau von Felix Pietsch ein Problem. Sein neuer Magierturm wurde in seiner Abwesenheit mutmaßlich von einer Goblinhorde geplündert und nun sind einige wertvolle Artefakte verschwunden, unter anderem ein Perldrachenei. Somit sollen die Helden ihm seinen Besitz wiederbeschaffen. Allerdings verläuft das Abenteuer völlig anders als geplant und mündet in einen mitunter sehr kuriosen Folgeauftrag.

Die Schauplätze

Bornstein – Märchen am Rande der Wildnis (von Melina Hoischen und Andreas Reif) stellt einen kleinen Ort am Rande des Bornwalds vor, der unlängst einen Herrscherwechsel hatte und sich neuorientieren muss, u.a. was die Infrastruktur angeht. Dazu gibt es einen geschichtlichen Abriss, einen Stadtrundgang, Beschreibungen der wichtigsten NSC und einige Geheimnisse des Ortes.

Ebenso werden an dieser Stelle die jeweils 3 Magier- und Kriegerakademien ausführlich präsentiert. Dabei handelt es sich um Die Halle des Quecksilbers in Festum, Die Schule der Beherrschung in Neersand (beide von Fred Ericson), Die Halle des Lebens in Norburg (von Stephan Frings, Christian Mertens und Raoul Pra), Die hohe Festumer Kavaliersakademie in Festum (von Katja Reinwald), Die Drachenstreiter-Akademie zu Birkholt (von Felix Pietsch) und Die Bornländische Kriegerakademie zu Neersand (von Jens Olfa Müller). Hier findet eingangs jeweils eine stichwortartige Vorstellung des Instituts statt, die dann um einen kurzen geschichtlichen Abriss ergänzt wird, worauf ein Rundgang das Gebäude mit Details anreichert (wozu es jeweils auch eine Karte gibt). Dazu erfolgen Kurzcharakterisierungen der wichtigsten Personen. Ebenso wird auf den Lehralltag eingegangen, wobei auch die Frage berücksichtigt wird, wie präsent dort das Erwachen des Borlands ist. Direkt für das Spiel gedacht sind einige Szenarien sowie die Geheimnisse der Schule. In gleicher Weise ist auch der Artikel Silberkuppeln, Norburgs Rondratempel (von Katja Reinwald) aufgebaut.

Bei Ouvenmas, die lebende Stadt (von Moritz Schmid) handelt es sich um eine erweiterte Vorstellung der Stadt, die hier mehr Raum erhält als in Die Winterwacht. Der Stadtrundgang ist mit mehr Details ausgeschmückt, wobei insbesondere feeisches Wirken berücksichtigt wird. Auch hier existieren einige Szenariovorschläge.

Die Erben von Haus Turlitz (von Isabell Andersen und Kilian Lieb) ist als direkt spielbarer Schauplatz angedacht, konkret kann man hier als Spielrunde eine eigene Bronnjarenschaft erleben, die man entweder besuchen oder selbst leiten kann. Dazu erfolgen zunächst einige Vorschläge, wie man an das Erbe gelangt sein könnte. Dem schließen sich beispielhafte Ortschaften an, die zu dem Landbesitz gehören könnten. Ebenso werden die Räumlichkeiten des Gutshofs skizziert, wobei immer wieder kleine Geheimnisse als Abenteueraufhänger eingeflochten werden. Außerdem findet sich eine Kurzschilderung einiger Leibeigener, mit denen man interagieren kann.

Die Kurzgeschichten

Grimmbarts Erwachen von Fred Ericson schließt an eine Episode aus Ulrich Kiesows Roman Das zerbrochene Rad an. Anhand eines Erlebnisses der Alten Grimmbart, einer Dächsin, die eine sehr illustre Vergangenheit hat, werden die Einflüsse des Erwachens auf die Tierwelt des Bornlands demonstriert. Sturm über der Ebene von Stephan Frings setzt niemand anderen als die Manthika Riiba in den Mittelpunkt, die mit den Folgen des Einfalls der Güldenen Horde konfrontiert wird. In Das Schwert aus Eis (ebenfalls von Fred Ericson) steht der Elf Cirrusil Eisblick kurz vor der Vollendung einer langanhaltenden Aufgabe, indem er ein vermisstes Eisschwert nach Jahrzehnten der Suche endlich aufgespürt hat. Allerdings muss er sich dazu an einen Ort alten Unheils begeben und zusätzlich feststellen, dass er nicht der einzige Suchende ist. In den Bereich der Intrigen führt Die Verschwörung von Ouvenmas von Michael Brauner. Ist der Ort ohnehin schon massiv vom Erwachen betroffen, kommen nun auch noch interne Machtkämpfe hinzu. Drei sehr ungewöhnliche junge Leute stoßen dabei auf ein finsteres Bündnis und versuchen, ihrerseits Gehör bei Verbündeten zu finden, um das drohende Unheil abzuwenden. Sehr schlechte Laune hat die Stadtgardistin Grimje Stoerrbrandt in Freund und Helfer von David Schmidt. Die Garde hat einen neuen Rekruten aufgenommen, ausgerechnet einen der ihr verhassten Goblins. Zu allem Überfluss hat Hauptmann Timspki ihr den jungen Borzi Feudelbees zugeteilt, damit sie ihn mit dem Dienst in der Nachtwache vertraut macht.                 

II. Kritik

Eine Feststellung zu Beginn ist, dass das Kompendium der Winterwacht allein schon mit seiner Inhaltsvielfalt einiges zu bieten hat. Dabei fällt für mich direkt positiv die klare Gliederung auf (im Vergleich zu einigen der alten Meisterschirmhefte), auch wenn es sich um drei unterschiedliche Textsorten handelt, sind es doch jeweils passende Ergänzungen zu den anderen Bänden des Crowdfundings, die massiv Zusatzmaterial liefern.

Bei den Abenteuern ist vor allem der Seitenraum ein unterscheidendes Element: So finden sich zwei längere Abenteuer und 4, die eher in die Kategorie eines Szenarios fallen. Dorf ohne Hoffnung ist ein sehr düsteres Abenteuer, was vor allem mit der Atmosphäre von alten Geheimnissen punkten kann, zudem verfügt es über gute, teils gebrochene Charaktere. Der Kürze des Abenteuers (hier in etwa dem Heldenwerk-Format entsprechend) geschuldet ist aber eine teilweise recht starke Lenkung vorhanden, da an einigen Stellen etwas zu intensiv mit Aktivierungsszenen gearbeitet wird, d.h. das Auftauchen der Heldengruppe setzt plötzliche Handlungen in Gang, eleganter wäre ein Zeitablauf gewesen, so dass das Verhalten der Spielercharaktere auch wirklich Unterschiede setzen kann. Zeichen der Vergänglichkeit ist als längstes Abenteuer mit über 25 Seiten in etwa mit einem Anthologieabenteuer vergleichbar (um ein solches handelt es sich ja auch, da es aus der alten Anthologie Rittererbe entnommen und für DSA5 umgesetzt wurde) und ist dementsprechend mit den meisten Handlungsdetails versehen. Das gilt sowohl für die umfangreiche Personenriege wie auch für den historischen Hintergrund. Dabei gefällt mir die tragische Vorgeschichte, die selbst nach Jahrhunderten noch Einfluss auf die Dorfgemeinschaft hat. Gerade die Interaktion mit den Bewohnern Neu-Drakensteins erscheint mir sehr reizvoll, die Mythen kann man zudem glaubhaft als Teilnehmer der Ausgrabung ergründen, wobei letzterer Part derjenige ist, der am gröbsten ausgeführt ist.

Schuld, Sühne und Sehnsucht ist primär personenbezogen, wichtig ist vor allem das Zusammenspiel mit Nevik als Hauptcharakter, während die Hintergründe in Korgalis sicherlich viel an zusätzlicher Ausarbeitung brauchen, was aber für alle Szenarien gilt. Allerdings kann man bei Der Golem von Starnika gut auf die Stadtbeschreibung von Norburg zurückgreifen, hier ist die Verzahnung mit der Spielhilfe sehr eng. Dabei wird das Erwachen den Bornlands auf eine interessante Weise mit einem städtischen Schwerpunkt verbunden. Eher diplomatisch ist Das Erbe der Tsirkevist angelegt. Tatsächlich empfinde ich das Intrigenspiel der Handelshäuser in Festum als eine originelle Kulisse, allerdings erscheint mir der Plot für ein Szenario schon sehr fordernd. Perldrachen vor die Muttersau gewinnt sicherlich den Sonderpreis für die ungewöhnlichste Geschichte, was als einfache Räuberjagd beginnt, endet in einer ausgesprochen kuriosen Situation, in der man quasi in die Elternrolle für einen Perldrachen schlüpfen soll. Das hat einerseits viel komödiantisches Potential, setzt aber gleichermaßen auch einige fordernde Aufgaben.

Bei den Spielhilfen halte ich zunächst die 6 Akademiebeschreibungen und Silberkuppeln für uneingeschränkt nützlich. Alle Lehreinrichtungen werden gründlich aufgearbeitet und zwar so, dass man sie auch im Spiel einsetzen kann. Deutlich werden auch die jeweiligen Eigenheiten, z.B. in den Kontrasten der reichen und altehrwürdigen Halle des Quecksilbers im Vergleich zur bürgernahen und familiären Schule der Beherrschung oder wenn bei der Hohen Festumer Kavaliersakademie gerade auch formalen Dingen wie den Etiketten viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, während an der Drachenstreiter-Akademie zu Birkholt mehr auf handfeste Schwerpunkte geachtet wird. Die Stadtbeschreibung von Ouvenmas irritiert mich hingegen etwas: Sie setzt zwar andere, zusätzliche Schwerpunkte als die, die in Die Winterwacht bereits vorhanden sind, trotzdem gibt es doch jede Menge Überschneidungen (wenn auch ohne Textdoppelungen). Hier hätte ich es für sinnvoller gehalten, einen kleineren Ort am Rande des Grünen Walls auszuwählen, um noch mehr Vielfalt zu erzeugen, wie ja mit Bornstein eigentlich auch einer vorhanden ist. Die Idee einer eigenen Bronnjarenschaft gefällt mir dafür ausgesprochen gut, allerdings fehlen mir dort ein paar Angaben, worauf man bei der Verwaltung achten müsste, so ist eher als Ort einsetzbar, Simulationismus ermöglicht es eher nicht (auch wenn das nicht unbedingt etwas ist, auf das ich persönlich gesonderten Wert lege, die Lücke fällt mir aber auf).

Die Kurzgeschichten sind aus meiner Sicht nicht unbedingt literarische Offenbarungen, da die Betonung im Regelfall wirklich auf dem Aspekt „kurz“ liegt, sie sind allesamt in den Abläufen eher grob gehalten, vor allem in Die Verschwörung von Ouvenmas ist die Handlung dementsprechend sprunghaft. Trotzdem finde ich es interessant, viele Aspekte des Kompendiums und des Hauptbands auch nochmal mit solchen narrativen Anteilen anzureichern, das lässt manche Themen und Figuren lebendiger wirken. Persönlich halte ich allerdings mit Freund und Helfer die Geschichte für besonders gelungen, die eigentlich die geringste Tragweite und überhaupt keine Epik enthält. Dafür sind die Schilderungen der mürrischen und anfangs ziemlich fremdenfeindlichen Gardistin sehr unterhaltsam.

III. Fazit

Das Kompendium der Winterwacht kann vor allem mit der Vielfalt an zusätzlichen Materialangeboten überzeugen. Mir gefällt zwar nicht jeder Einzeltext im gleichen Maße, insgesamt sehe ich aber ein gutes Niveau. Besonders die Akademiebeschreibung sind aus meiner Sicht sehr wertvoll, aber auch der Umstand, dass man eine ganze Reihe von zusätzlichen Abenteuern (in unterschiedlichen Detailgraden) erhält. Damit wird das Bornland mit einer ganzen Reihe von weiteren Spielanlässen ausgestattet.

Bewertung: 5 von 6 Punkten       

4 Kommentare

  1. Danke für diese Rezension.
    Denkst du, dass einige der Szenarien in die Kampagne der Theaterritter passen oder gibt es da irgendwelche Gegenanzeigen?

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    1. Generell spricht da nichts gegen. Da werden zumindest keine schwerwiegenden Ereignisse abgehandelt, die die ganze Region umwälzen, von daher kann man da sicher auch einiges verlegen. Beispielsweise spielt in Perldrachen von die Muttersau ja mit Thezmar auch eine Figur eine wichtige Rolle, die auch in der Kampagne von Bedeutung ist, da lässt sich bestimmt etwas verknüpfen.

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  2. Danke Engor. Auf die Rezension habe ich gewartet. Für ich ist das Kompendium das beste Buch des Crowdfundings. Kein anderes DSA-Buch habe ich im letzten Jahr so ausführlich studiert. Ich mag die Abwechslung der Inhalte und das Thema Erwachen des Bornlands generell sehr.

    Meine Highlights sind die Abenteuerskizze „Perldrachen für die Muttersau“ und die Kurzgeschichte „Freund und Helfer“. Letztere musste ich privat schon mehrfach vorlesen und immer noch an bestimmten Stellen schmunzeln. „Perldrachen für die Muttersau“ werde ich definitiv noch mit meine Tochter spielen.

    Etwas enttäuschend, aber nur, weil ich den Autor D. Haldek so sehr schätze, war für mich „Das Erbe der Tsirkvist“. Hier finde ich die Handlung bzw. die Absichten der alten Dame etwas zu konstruiert. Und wie du schon sagst, ist die Herausforderung an den Meister, selbst, wenn es ein reguläres Abenteuer wäre, immens.

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