Historia Aventurica – Eine Zweitbetrachtung

Vorbemerkung: Mit keinem DSA-Band der jüngeren Zeit habe ich mich derart beschäftigt, wie mit der Historia Aventurica. Nachdem das Echo nach der Veröffentlichung zum Teil sehr negativ ausfiel (was leider auch für meine eigene Rezension gilt), gab es ja die überraschende Ankündigung der Überarbeitung, die für Käufer der Erstsauflage sogar kostenlos war (wenn man bereit war, seinem Buch Schändliches anzutun). Tatsächlich ist die Zweitbetrachtung dann eine Angelegenheit, die sich sehr von der üblichen Rezensionsweise unterschieden hat, weil ich immer mit beiden Auflagen parallel gearbeitet habe, um Änderungen zu registrieren und nachvollziehen zu können, was den Zeitaufwand deutlich erhöht, zumal es sich ohnehin schon um eine seitenstarke Publikation handelt.

In Zahlen:
– 352 Seiten
– erschienen am 30.6. 2015
– 49,95 Euro

I. Inhalt und Aufbau
In großen Teilen ist die Historia identisch mit der Vorgängerauflage. Da ich dies ja schon in der damaligen Rezension aufgeführt habe, werde ich mich im Folgenden ausschließlich auf die veränderten Inhalte konzentrieren.

Natürlich fällt da zunächst das überarbeitete Vorwort ins Auge. Hier wird relativ deutlich der Ansatz betont, keine lückenlose Sammlung von Faktenwissen anzustreben, sondern dass dieses immer auch um mythologische Komponente erweitert wird. Als Grund hierfür wird angegeben, dass der Band somit auch als „Inspirationsquelle“ für den Spieltisch dienen soll. Als Erweiterung wird aber auf die Redaktionskästen verwiesen, die Bezug darauf nehmen, wie die Redaktion Aventurien gestalten will. Auch Chalwens Subjektivität wird noch einmal unterstrichen. Die Kästen greifen beispielsweise dann, wenn bestimmte Aspekte Klärungsbedarf erzeugen.

So wird z.B. das Missverständnis aufgeklärt, dass Gebirge oder Flüsse eben als Unsterbliche nicht wirklich auf Dere gewandelt sind, sondern dies ein (V)Erklärungsansatz Chalwens ist. Genauso wird eine Unterscheidung der schwer zu trennenden Begriffe „Götter“ und „Unsterbliche“ dargeboten, wobei als Kernunterschied verstanden wird, dass Unsterbliche zwar selbst über Karma verfügen können, aber nur Götter dieses auch spenden können. Genauso wird die Behauptung Chalwens richtiggestellt, Unsterbliche hätten keine Namen.

Kleinere Umformungen ändern zudem bestimmte Lesarten. So formuliert Chalwen nun weit vorsichtiger das Verhältnis von Ogeron und dem Dämonensultan, während die Originalsetzung der „ersten“ Historia noch vorsah, beide eindeutig zu einer Wesenheit zu verschmelzen. Ähnlich wird bei Ungenauigkeiten von Graufang/Gorfang verfahren bzw. auch für Tsa/Tsatuaria. Auch wird kurz auf den Widerspruch eingegangen, warum der Namenlose und Nandus Karma spenden können, auch für Charypta wird ein Erklärungsansatz angeboten, die zwar nicht mehr als Gottheit vorhanden ist, in gewissem Maß aber durch einige sogenannte „Weltenanker“ (z.B. von ihr geschaffene Kreaturen) immer noch derische Präsenz hat.

Auch wenn die vorhandenen Texte oft nicht oder nur leicht verändert wurden, fällt vom erzählerischen Ton auf, dass mit der Erzählinstanz Chalwen neutraler umgegangen wird, sie wird merklich nicht mehr durchgehend wie eine reale Person behandelt, die sich als Erzähler zur Verfügung gestellt hat, sondern eher wie ein erzählerisches Mittel der Verfasser (was sie ja auch ist).

Stellenweise finden sich auch abgeänderte Inhalte, z.B. wurde der Abschnitt über den Fluch des Flussvaters inhaltlich stark verändert, was die Fluchursache angeht. Generell registriert man viele kleine Änderungen in Form von korrigierten Daten oder einzelnen Begrifflichkeiten. Am Ende wurden zudem noch einige Seiten hinzugefügt, so dass der Band nicht mehr mit dem Jahr 1030 BF endet, sondern noch einen dreiseitigen Ausblick auf dem folgenden Ereignisse bietet, vor allem in Bezug auf die Splitterdämmerung.

Einige Seiten sind nur umsortiert worden, so findet sich eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten über die Zeitalter jetzt nicht mehr am Bandanfang, sondern im Anhang. Viele grundsätzliche Aspekte, die die nach dem Erscheinen der Historia im Fokus der Diskussionen standen, bleiben auch in der Überarbeitung bestehen, wie z.B. die ständig wechselnde Besetzung Alverans oder auch die Spaltung von Nandus.

II. Kritik
Zunächst einmal muss ich ein großes Lob loswerden: Die Umtauschaktion der Historia war sicherlich kein einfacher und schmerzloser Schritt, unterm Strich vermute ich einmal, dass so etwas eher ein Draufzahlgeschäft ist, wenn viele Kunden ein zweites Exemplar zum Nulltarif erhalten. Und dazu muss man ja auch noch die Produktionskosten für den Druck und die Arbeitsstunden für die verantwortlichen Schreiber zählen, ganz zu schweigen von den vernichteten Exemplaren der ersten Auflage. Auf die bestimmt nicht angenehme Kritik in dieser Form zu reagieren, finde ich ausgesprochen ehrenwert und hatte ich so auch nicht erwartet.

Nimmt man den Band in Gänze, handelt es sich natürlich nicht um eine Kompletterneuerung, immerhin wurden große Textanteile übernommen. Trotzdem sieht man überall größere und kleinere Änderungen, seien es einfache Fehlerkorrekturen oder Erläuterungen zu den einzelnen Setzungen. Einige der größeren Kritikpunkte wurden beispielsweise nachvollziehbar entfernt, z.B. wurden wie bei der oben angesprochenen Passage zu der Frage der Beziehung von Ogeron und dem Dämonensultan zu absolute Setzungen durch variablere Formulierungen ersetzt. Hier haben sich die Autoren sichtbar darum bemüht, aufgetauchte Probleme zu entschärfen.

Trotzdem habe ich nach wie vor ein Problem mit der gewählten Form, das eben nicht bei den meist sicherlich sinnvollen Korrekturen ansetzt, sondern bei der generellen Designentscheidung: Der gesamte Band ist weiterhin so gehalten, dass viele Bereiche ausgesprochen vage Informationen anbieten (vor allem der Chalwen-Teil), Festlegungen werden häufig vermieden.

Aus Autorensicht kann ich diese Entscheidung durchaus nachvollziehen, Festlegungen sind für Autoren insofern problematisch, weil sie bei zukünftigen Publikationen berücksichtigt werden müssen und erzählerische Freiheit somit eingeschränkt wird. Das unterläuft aber eben auch umgekehrt meine Erwartungshaltung als Leser. Unter einer Historia erwarte ich vielmehr einen Band, der deutlich mehr nachvollziehbare Fakten bzw. Setzungen enthält, mit denen ein Spielleiter verlässlich arbeiten kann. Natürlich handelt es sich hier um keine reale Geschichtschronik, sondern um einen Band zu einem Fantasy-Setting. Hier spielt beispielsweise die Mythologie eine ganz andere Rolle, sind aventurische Götter doch eine Tatsache, die nicht auf reinem Glauben basiert, sondern handelt es sich vielmehr um Wesenheiten, die z.T. aktiv auf weltliche Geschehnisse einwirken. Somit muss es sich um eine Vermischung aus Mythologie und inneraventurischen weltlichen Ereignissen handeln. Und Götterhandlungen spielen sich auf einer vollkommen anderen Ebene ab, die von den Sterblichen z.T. schwer nachzuvollziehen sind.

In der vorliegenden Form bleibt mir aber vieles zu vage, insbesondere die Rolle von Chalwen als Erzählfigur halte ich nach wie vor für eine falsche Wahl. Auch wenn es stilistisch Verbesserungen gibt, sorgt dies weiterhin für einen starken Bruch in der Erzählweise. Gerade hier liegt eine deutliche Differenz zu dem, was ich für ein Geschichtswerk für passend halte, eine neutrale Erzählinstanz (wie im Rest des Bandes vorhanden) entspricht letztlich mehr dem Sachbuchcharakter, eine Erzählerfigur wie Chalwen gibt dem Ganzen für meinen Geschmack zu sehr den Charakter eines Romans.

Allerdings war eine grundsätzliche Veränderung dieser Designentscheidung kaum erwartbar, dann hätten die Autoren immerhin das gesamte erste Viertel des Bandes komplett umschreiben müssen. Im Resultat bleibt somit aber auch das Problem bestehen, dass gerade dieser erste Teil des Bandes für mich nicht das verlässliche Nachschlagewerk darstellt, welches ich erwartet habe. Die Autoren bzw. der Verlag haben in der Folge der Erscheinung diesen Umstand deutlich besser kommuniziert, was sie leisten wollen und was nicht, was letztlich aber leider nichts daran ändert, dass die Historia offenbar nicht den Wünschen entspricht, die viele Leser in sie gesetzt haben, gerade dieser Kritikpunkt findet sich ja auch in vielen Foreneinträgen.

Nicht unberücksichtigt lassen sollte man aber die Tatsache, dass der Großteil des Bandes die jüngeren Zeitalter ohne Chalwen Einwürfe schildert und in diesem Bereich durchaus den Charakter eines Nachschlagewerks erfüllen kann, was generelle Ereignisse und Daten angeht. Schade finde ich aber, dass hier nach wie vor auf die Verwendung von mehr Kartenmaterial verzichtet wird, um z.B. den Wandel von Machtbereichen im Fortlauf der Geschichte darzustellen.

III. Fazit
In der überarbeiteten Ausgabe der Historia steckt sichtbar viel Arbeit, bei der die Autoren sich bemüht haben, viele Kritikpunkte zu entschärfen. Mein Problem liegt aber nach wie vor in der grundsätzlichen Designentscheidung, die an vielen Stellen zu vage Festlegungen beinhaltet, an denen ich klarere Setzungen bevorzugt hätte. Ebenso empfinde ich die Mischung einer involvierten Erzählerfigur und eines neutralen Erzählers als eher unpassend. Trotzdem gibt es aus meiner Sicht die Notwendigkeit einer leichten Aufwertung, da an vielen Passagen Mängel aufgearbeitet wurden. Nicht zuletzt muss das hohe Maß an Kundenfreundlichkeit betont werden, die teils harsche Kritik anzunehmen und eine Lösung anzubieten.

Bewertung: 3 von 6 Punkten

1 Kommentar

Hinterlasse einen Kommentar