Rezension: Die Kinder des 23. Ingerimm (Spielhilfe)

Vorbemerkung: Vor einigen Monaten habe ich eine Rezension zur Kurzgeschichtensammlung Die Kinder des 23. Ingerimm verfasst, in der einige Figuren vorgestellt wurden, die alle das gleiche Schicksal teilen: Sie wurden an dem Tag geboren, als an der Trollpforte die Entscheidungsschlacht zwischen dem Dämonenmeister und den Streitkräften des Mittelreichs stattfand. Ziel des Projektes ist es, eine Reihe von NSC zu kreieren, die sich an die zentralen Stränge des Metaplots anbinden lassen. Während die Kurzgeschichten narrativ den Hintergrund der jeweiligen Figur vorgestellt haben, arbeitet die nun erschienene gleichnamige Spielhilfe diese Charaktere für den Spieltisch auf. Nachdem ich schon bei der Kurzgeschichtensammlung die für ein Fanprojekt sehr professionelle Machart loben musste, bin ich natürlich auch auf die konkrete Umsetzung gespannt.

In Zahlen:

– 100 Seiten

– 16 Charaktere

– erschienen am 7.11. 2019

– erhältlich als Download im Orkenspalter Forum oder im Scriptorium Aventuris

I. Aufbau und Inhalt

Ein kurzes Vorwort erläutert zunächst den Zielfokus des Projektes, wobei vor allem darauf eingegangen wird, wozu man die vorgestellten Figuren verwenden kann. Zudem findet sich hier eine Übersicht, wo man auf dem Kontinent die einzelnen Kinder des 23. Ingerimm antreffen kann. Eine Zitatsammlung verdeutlicht außerdem die Bedeutung des gemeinsamen Geburtsdatums.

Dem schließen sich die konkreten Charakterporträts an, von denen 16 beinhaltet sind, die alle auf die gleiche Art aufgearbeitet werden: Eine Kurzcharakteristik stellt die Figur eingangs stichwortartig vor. Danach folgt als zumeist längster Abschnitt eine Beschreibung des bisherigen Werdegangs, also eine Lebensgeschichte in Kurzform. Die Abschnitte Motivation und Agenda widmen sich dem Antrieb, welche Ziele aus welchen Gründen verfolgt werden. Da die Charaktere sowohl als Feinde als auch als Verbündete denkbar sind, wird auch auf das Kampfverhalten eingegangen. Ergänzend dazu gibt es einen Infokasten mit grundsätzlichen Angaben zu herausragenden Eigenschaften, Talenten und möglichen Zauberfertigkeiten, wobei diese nur aufgezählt werden, aber keine konkreten Werte genannt werden. Für den Spielleiter/die Spielleiterin wurden auch Anregungen zur Darstellung hinzugefügt, z.B. über Sprechweise und Verhaltensmuster. Auch die Selbstreflexion wurde bedacht, indem erläutert wird, wie die Figur ihre eigene Rolle definiert, was zusätzlich mit einer Zitatsammlung ergänzt wird. Die Rolle im Spiel wird aus zwei Perspektiven beleuchtet: Einerseits wird eine denkbare Zufallsbegegnung beschrieben, andererseits wird darauf eingegangen, inwiefern auch eine zentrale Aufgabe in einem Plot aussehen könnte, in der Regel als AuftraggeberIn, Verbündete/r oder als AntagonistIn. Zuletzt gibt es eine Publikationsübersicht mit Auftritten der Figur, die aktuell natürlich nur auf die Kurzgeschichtensammlung verweist, zusätzlich werden aber auch einige kommende Projekte genannt.

Die einzelnen Figuren sind dabei in sechs unterschiedliche Kategorien geordnet, die sie jeweils einem Metaplotstrang zuweisen. Ein zentraler Aspekt ist dabei der Kampf den Erben Borbarads, wobei hier sehr unterschiedliche Figuren vorhanden sind, mit Quendan Vanduin Ya Parines ein Borbaradianer, mit Reshamajid eine maraskanische Widerstandskämpferin und mit dem Wanderer zusätzlich eine sehr mysteriöse Gestalt. Die meisten NSC sind dem Thema Streit der Götter zugeordnet. Hier findet sich ein Konglomerat aus einer ehemaligen Rondrageweihten (Belenike), einem Shinxir-Forscher (Decino), einem fundamentalistischen Efferdgeweihten (Fion) und einem Dreigestirn der Anhänger Bylmareshs (Abrizah, Fahima, Shanja, die aber nach außen hin als eine einzelne Person agieren). Abseits davon steht natürlich auch ein konstanter Widersacher, stellvertretend repräsentiert durch die von namenlosen Einflüsterungen bewegte Norbardin Inuschka und den völlig besessenen Linnert, der als Mörder Jagd auf andere Kinder des 23. Ingerimm macht. Auch die Siebte Sphäre spielt eine Rolle. Hierbei handelt es sich vornehmlich um solche Figuren, die von Dämonen manipuliert werden, was auf den Ork Shazzag (von Umdoreel), die Grolmin Zizzleflizz (Tasfarel) und die Zuckerbäckerin Sabih (eigentlich eine durch Magie erschaffene Chimäre) zutrifft.

Etwas allgemeiner sind die Figuren im Kapitel Heldenzeit positioniert. Hierbei handelt es sich um weitgehend positiv besetzte Charaktere, die für eine gute Sache einstehen, namentlich der Barde Avesander, der Elementarmagier Sereno und die nivesische Jägerin Mynegyi. Ähnliches gilt für die Kriegerin Kendra, die aber als Beschützerin einer Feenwelt mit dem Spezialthema Feenkrieg verbunden ist. Zuletzt finden sich noch einige Angaben, wie man einen eigenen Charakter als Kind des 23. Ingerimms ausgestalten kann.

II. Kritik

An dieser Stelle möchte ich gar kein Hehl aus meiner Haltung zur Spielhilfe machen: Nachdem ich schon die Kurzgeschichtensammlung sehr gelungen fand, kann mich nun auch die Umsetzung der Protagonisten für den Spieltisch überzeugen. Alle Beteiligten haben wirklich gute Arbeit geleistet und die 16 Figuren detailliert ausgearbeitet. Schon im Grundsätzlichen gefällt mir die durchdachte Gesamtkonzeption, in der viele Einzelaspekte herausgestellt werden, die dafür sorgen, dass man ein sehr umfassendes Bild von der jeweiligen Figur hat und diese somit auch in den unterschiedlichsten Situationen und Rollen einsetzen kann.

Naturgemäß gibt es dabei natürlich Unterschiede in den einzelnen Texten, womit sich für mich auch einige besonders interessante Figuren herauskristallisieren: Bei Quendan ist es beispielsweise die Ambivalenz, die an der Figur reizt, da er als Borbaradianer ja prinzipiell eher der Antagonistenriege zuzuordnen ist, umgekehrt als erklärter Feind namenloser Umtriebe situativ aber auch ein sehr kompetenter Verbündeter sein kann. Ähnliches gilt in umgekehrter Weise für Reshamajid, die ja per se eher auf der Seite des Guten steht, allerdings durch ihre tragische Hintergrundgeschichte mutmaßlich eher paranoid handeln könnte und fremden Besuchern generell viel Misstrauen entgegenbringt, was schnell für tödliche Gefahr sorgen kann. Sehr großes Antagonistenpotential sehe ich vor allem bei dem Ork Shazzag, der durch die Einflüsterungen des Umdoreel noch mehr an Gefährlichkeit gewinnt, als er ohnehin schon in sich birgt. Hier ist ja auch bereits eine Folgepublikation angekündigt. Das Dreigestirn Abrizah, Fahima und Shanja halte ich für eine großartige Idee, gerade das Verwirrspiel, dass mit den drei Schwestern aufgezogen werden kann, dürfte für eine Reihe von Überraschungsmomenten sorgen, vor allem dann, wenn sie über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden. Ganz generell ist die dahinterstehende Konzeption sehr originell und mir bisher bei DSA selten untergekommen.

Im Gegenzug ist mir dafür eine Figur wie der Wanderer schon in ihrer Grundanlage etwas zu diffus, hier stelle ich mir die Interaktion mit einer Spielgruppe schwer vor, vor allem mit seiner wortkargen und verschlossenen Art bleiben die Möglichkeiten doch sehr eingeschränkt. Zizzleflizz ist zwar mit Sicherheit die exotischste Figur, allerdings sehe ich hier das Problem, dass Grolme ja ohnehin eher sehr argwöhnisch betrachtet werden und von Heldengruppen zumeist als potentielle Gegenspieler angesehen werden. Da sie allein agiert und abseits ihres Dämonenpaktes über wenig Ressourcen verfügt, sehe ich hier eher wenig Möglichkeiten für wirkliche Aha-Momente zu sorgen. Genauso sind die reinen Heldenfiguren zwar durchaus gut ausgearbeitet, bieten für mich aber grundsätzlich nicht so viel Reiz, da sie aus meiner Sicht mehr als eigentliche Protagonisten und als nicht NSC wirken können.

Abseits von den individuellen Charakterkonzepten liegt eine große Stärke natürlich daran, dass alle Figuren dazu angelegt sind, die wichtigen Stränge des Metaplots mit Leben erfüllen zu können. Auch wenn sich hier in den letzten Monaten auch im offiziellen Bereich nach einer gewissen Phase des Stillstands wieder einiges bewegt hat, bringt es die allgemeine Publikationsstrategie mit sich, dass hier Fortschritt immer nur sehr diskontinuierlich und mit längeren Unterbrechungen stattfinden kann. In dieser Hinsicht werden gute Alternativen geboten, eigene Subplots unterzubringen, die mit den hier vorgestellten Charakteren verknüpft werden können. Ganz abseits davon liegt der Wert der Spielhilfe natürlich auch in der Fülle an Abenteueranregungen für große oder kleine Geschehnisse, mit dem Material lassen sich unzählige Spielabende füllen.

III. Fazit

Die Kinder des 23. Ingerimm beweist auch in der Umsetzung als Spielhilfe großes Potential, indem hier 16 unterschiedliche Figurenkonzepte vorgestellt werden, die mit vielen Abenteueranregungen verbunden sind. Besonderes Merkmal ist dabei die intensive Anknüpfung an den Metaplot, womit die prägenden Geschehnisse in Aventurien mit viel Leben erfüllt werden können. Aus meiner Sicht ist das Endresultat sehr ambitioniert gemacht und braucht sich im Vergleich mit so mancher offiziellen Publikation nicht zu verstecken.

3 Kommentare

  1. Vielen herzlichen Dank mal wieder für die detaillierte, freundliche wie fair kritisierende Rezension,
    Christian (einer der Beteiligten am Projekt)

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