Rezension: Heldenwerk-Archiv VI

Vorbemerkung: Etwas später als erwartet kam in diesem Jahr das Heldenwerk-Archiv VI heraus. Auf der Spielemesse in Essen war meine Suche leider erfolglos, da sich Ulisses offenbar entschieden hat, keine Neuheiten mehr zur Messe zu veröffentlichen (zumindest die reguläre Ausgabe erschien früher immer zu diesem Termin). Somit wurde es erst Ende Oktober versandt. Wie immer handelt es sich ja um keine originäre Neuerscheinung, sondern einen Sammelband aus bereits bekannten Heldenwerken. Somit verweise ich wie üblich für die Einzelrezensionen mit Verlinkungen auf die damals von mir verfassten Besprechungen und lege den Fokus auf die Erweiterungsinhalte.

I. Aufbau und Inhalt

Wie immer handelt es sich um einen kompletten Jahrgang, bestehend aus 6 regulär erschienenen Heldenwerken, ergänzt um das Con-Abenteuer des Jahres 2022. Die jeweiligen Hefte sind dabei immer um ein Vorwort der Autor*innen und einige Bonusinhalte erweitert worden.

Die Axt im Walde

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Stefan Köstlinger verrät in seinem Vorwort, dass das Abenteuer um die Flucht einer verwöhnten Landadeligen vor ihrer arrangierten Ehe ursprünglich etwas anders geplant war, vor allem was einige der wichtigen NSC angeht. Die zwei Bonusseiten legen ihren Fokus aber nicht auf diese Flucht, sondern sollen vor allem den Einstieg in das Abenteuer erweitern. Dort wird davon ausgegangen, dass die Heldengruppe den kleinen Ort Ambelmund wegen des Efferdfestes aufsucht, einem Turnier mitsamt Jahrmarkt. Was ursprünglich nur kurz skizziert wurde, erhält nun eine konkretere Unterfütterung, indem mit Hau den Dödel eine Attraktion beschrieben wird, zudem wird auf das kulinarische Angebot eingegangen, zusätzlich kann die Heldengruppe optional in ein improvisiertes Theaterstück involviert werden. Dazu werden drei NSC eingeführt, die man auf dem Fest treffen kann. Ebenso wurde eine humoristische Szene hinzugefügt, indem die verwitwete Gastwirtin der Spielercharaktere plötzlich mit den amourösen Avancen mehrerer rüstiger Verehrer konfrontiert wird.

Im Namen der Schlange

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Fred Ericson betont in seinen einleitenden Worten seinen Vorsatz, den Metaplot Maraskans voranzutreiben, u.a. was das Treiben der Skretchu angeht. Das Bonusmaterial (4 Seiten, wovon allerdings eine eine Illustration ohne konkreten Bezug ist) setzt an zwei unterschiedlichen Stellen an. Die Reise von Tuzak nach Yerschoggyn nimmt im Original nur eine knappe halbe Seite ein und wird hier nun um eine gefährliche Kreaturenbegegnung ausgebaut.

In Yerschoggyn ist eine der regionaltypischen Szenen eine sehr ambivalente Begegnung mit dem Knaben Muziber. Um noch mehr Bindung zu dem Jungen entwickeln zu können, ist optional eine Szene enthalten, in der man ihn und seine ganze Familie näher kennenlernen kann, v.a. wird damit auch einiges an Hintergrundinformationen zu den weiteren Verwicklungen um Muziber gegeben.

Sehnsuchtsmelodie

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Sein Vorwort nutzt Eric Schanz dazu, zu erwähnen, wie er seine Abenteueridee bei Ulisses vorgebracht hat und wie in verschiedenen Entwicklungsschritten der Hohe Norden zum Schauplatz wurde und wie er ein Sandbox-ähnliches Abenteuer auf die Anforderungen eines Heldenwerks abändern musste. Der Fokus des zweiseitigen Bonusmaterials liegt auf der Erweiterung der Begegnung mit der Elfensippe im Dort Sel´Telari. Auf diese Weise können vor allem einige der elfischen NSC noch mehr Profil gewinnen.

Ein Blick in rote Augen

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Auch Sebastian Kreppel erläutert zunächst die Genese des Stoffes, vor allem mit dem von vornerein feststehenden Fokus auf die Ghule, wobei ihm besonders wichtig war, interessante und erinnerungswürdige NSC zu erschaffen. Das Bonusmaterial erweitert das Abenteuer um eine weitere beteiligte Partei in Form eines Ferkina-Druiden, der zusammen mit einigen Kriegern ebenfalls dem Unheil auf den Grund gehen will. Dieser kann gleichermaßen als Informationsquelle wie auch als Verbündeter fungieren, v.a. wenn es darum geht, mit den Folgen einer Infektion durch Ghulgift umzugehen.

Morgenröte

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Felix Pietsch verfolgt mit seinem Abenteuer das Anliegen, die Orks Aventuriens ein wenig umzugestalten. Zwar hält er sie für eine hochinteressante Spezies, das mit ihnen verbundene Frauenbild ist aber von jeher schwierig und verleidet es nicht selten Spieler*innen, entsprechende Charaktere zu verwenden. Somit soll Morgenröte hier neue Impulse geben. Das vierseitige Bonusmaterial liefert zunächst einige zusätzliche Hintergründe zu den Gefahren des Orklands mit einigen Orten und Einwirkungen durch Flora und Fauna. Die antagonistische Orkfraktion wird zudem noch um einen Schamanen erweitert.

Der Blaue Bruder

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Das Abenteuer von Nathan Fürstenberg nimmt quasi eine Sonderrolle ein, handelt es sich doch um eine Erweiterung der Einsteigerbox Die Hexe vom Schattenwasser. Im Vorwort erklärt er sein Anliegen, einen dort erwähnten NSC mit einem konkreten Hintergrund anzureichern, wobei er auf ein sehr altes Abenteuer zurückgegriffen hat. Das Bonusmaterial umfasst zwei Zusatzszenen (auf drei Seiten). Eine ist konkret verankert, indem die Erforschung einer verlassenen Burgruine um eine weitere Kampfbegegnung aufgestockt wurde (die vor allem die Herausforderung dieser Episode deutlich erhöht). Außerdem wurde eine weitere antagonistische Figur entwickelt, die der Heldengruppe im Abenteuer das Leben schwer machen kann.    

Der Werwolf von Quastenbroich

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Phillip Koch erwähnt zunächst seine Inspirationsquellen, bevor er auf einige der Grundideen eingeht und zuletzt erläutert, wie er das Bonusmaterial angelegt hat. Wie in den letzten Jahren auch hat das Con-Abenteuer die größte Erweiterung erfahren (5 Seiten). Zum einen wird im Kontext der Werwolfplage ein weiterer NSC vorgestellt, der vor allem für zusätzliche Konflikte sorgen soll. Zudem werden einige weitere Orte beschrieben. Die tiefgreifendste Änderung ist aber eine Variante des Abenteuers mit einer echten Werwolfplage, wozu Anregungen vorhanden sind, wen man als solche Figur verwenden kann, was dann noch um die notwendigen Regelergänzungen ausgebaut wird.

II. Kritik 

Zunächst einmal kann ich bei einer Grundeinschätzung bleiben, die für jedes bisherige Heldenwerk-Archiv gilt: Als Anthologieband ist das Archiv eigentlich immer eine gute Investition, erhält man doch gleich sieben Abenteuer, die meist eine große Bandbreite an Schauplätzen und Themen aufweisen. Auch diesmal ist man im Prinzip überall auf dem Kontinent unterwegs, vom Hohen Norden (Sehnsuchtsmelodie) über das Orkland (Morgenröte), mittelreichische Gefilde (Der Blaue Bruder) bis hin nach Thalusien (Ein Blick in rote Augen) nebst einem Abstecher nach Maraskan (Im Namen der Schlange). Thematisch geht es teils sehr kampflastig zu (Im Namen der Schlange, Ein Blick in rote Augen), ebenso werden aber auch moralische Fragen (Morgenröte) aufgeworfen, wie es auch in den Bereich des Intrigenspiels geht (Die Axt im Walde). Das ist seit jeher eine Stärke der Heldenwerke, dass sie meist sehr abwechslungsreich gestaltet sind.

Nimmt man konkret dieses Archiv in den Fokus, so muss ich sagen, dass es im Ganzen eher wenig spektakuläre Abenteuer sind, wobei für mich recht eindeutig das spannende Ein Blick in rote Augen herausragt, zudem gefallen mir Morgenröte wegen den ungewöhnlichen Inhalts und Im Namen der Schlange wegen eines sehr gelungenen Finales. Im Ganzen sind es eher durchschnittliche Abenteuer.

Im Falle der Archive liegt aber mein Augenmerk natürlich auch auf der Frage, ob das Bonusmaterial diese gut erweitert und ob dadurch nochmal spielerische Mehrwerte entstehen. Immerhin handelt es sich ja um Abenteuer, die viele Leute (also vor allem die Abonnent*innen des Aventurischen Boten) bereits besitzen. Leider komme ich in diesem Jahr dabei zu keinem allzu positivem Eindruck. Bei keinem der sieben Abenteuer sehe ich in dem Bonusmaterial etwas, was einen signifikanten Mehrwert ausmachen würde.

Das soll nicht unbedingt heißen, dass es sich aus meiner Sicht um schlechtes Bonusmaterial handelt. Gerade zusätzliche Figuren sind sicher oft lohnend, z.B. der Ferkinadruide in Ein Blick in rote Augen, oder der Orkschamane in Morgenröte sind sicherlich zum Abenteuer passend. Eine gelungene Idee ist auch die Hintergrunderweiterung des jungen Muziber in Im Namen der Schlange, weil so die Tragik dieser Figur noch mehr zur Geltung kommt (das halte ich sogar für das beste Bonusmaterial im gesamten Band). Mehrheitlich sind es aber bloße Ausweitungen, z.B. wird zwar der Jahrmarkt in Die Axt im Walde viel besser ausgestaltet, allerdings ist dies für mich nicht unbedingt der interessanteste Teil des Abenteuers.

Teilweise halte ich das Material auch nicht für zielführend. Beispielsweise verstehe ich nicht, warum das eher schwache Der Blaue Bruder um eine Figur erweitert wurde, die wieder mehr Fragen als Antworten bietet, wenn eine diffuse Figur hinzukommt, die in ihrer Motivation eben nur eine „coole“ Handlangerin als reizvolles Schwertfutter ist, aber zu deren Hintergrund man fast gar nichts erfährt. Das reproduziert nur eine Schwäche des Abenteuers, das somit auch im Bonusmaterial nicht durchdacht wirkt. Bei Der Werwolf von Quastenbroich halte ich die Option, einen echten Werwolf einzuführen, ebenfalls für eine ausgesprochen schlechte Idee, die Irreführung war doch gerade der eigentlich gelungene Clou des Abenteuers. Mit einem wirklichen Werwolf ist es nur ein Abenteuer und vielen ähnlichen Plots, an dem nichts besonders ist.

Anscheinend ist es ja so, dass das Bonusmaterial für die Heldenwerke bereits gleichzeitig mit dem Kernabenteuer entsteht, d.h. die Autor*innen schreiben alles in einem Zug und gliedern etwas aus, was dann später für das Archiv als Zusatz gedacht ist. Aus meiner Sicht ist das keine allzu günstige Herangehensweise, weil man damit eine Möglichkeit außen vor lässt, die man sonst bei Abenteuern nicht hat: Kritik von der Community nach der Veröffentlichung aufzunehmen und diese Inhalte dann ggf. (also falls man sie als zutreffend bzw. relevant einordnet) mit entsprechenden Ergänzungen zu verbessern. So aber kann man an den eigentlichen Schwächen der Heldenwerke kaum arbeiten, falls man diese denn nicht zufällig bereits im Voraus antizipiert hat. Das empfinde ich als ausgesprochen schade.

Einen Punkt, den ich schon im letzten Jahr angesprochen habe, möchte ich erneut betonen. Meiner Auffassung nach ist es sehr ungünstig und auch den Autor*innen gegenüber nicht ganz fair, dass man deren Autorenschaft nicht eindeutig erkennen kann, da bei den Abenteuern keine Autorennennung erfolgt, die Beteiligten werden nur im Impressum gesammelt genannt. Lediglich Morgenröte ist Felix Pietsch eindeutig zuortbar, weil er im Vorwort seinen Namen nennt. Das sollte man wirklich ändern.

III. Fazit

Wie immer ist das Heldenarchiv 6 eine thematisch abwechslungsreiche Abenteuersammlung an den unterschiedlichsten Orten Aventuriens. Wenn man das Bonusmaterial für sich betrachtet, halte ich es aber für das bislang schwächste Archiv, da das Material für mich nirgendwo einen signifikanten Mehrwert bietet, maximal ein paar nette Ergänzungen. Vor allem wird die Gelegenheit verpasst, an den Schwächen der Abenteuer zu arbeiten.            

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